Heute mal etwas halb-off-topic: Dass Kruzfixe in Klassenzimmern politischer Zündstoff sind, sollte eigentlich bis jetzt jedem klar sein. Dass es sich dabei gleich um eine Menschrechtsfrage handelt ist neu. Der Europäische Gerichthshof für Menschenrechte urteilte entsprechend gegen die Kruzfixe. Ich möchte den eigentlichen Streit an dieser Stelle gar nicht angehen. Das wird schon quer über das Netz zur Genüge diskutiert und das brauch ich jetzt nicht auch gleich wieder hier in den Comments. Mir gehts ehrlich gesagt eher um das Drumrum.
Versteht mich jetzt bitte nicht falsch, ich hab kein Problem mit kruzifixfreien Klassenzimmern, aber hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wirklich so wenig zu tun, dass er sich mit herumhängendem Holz in Klassenzimmern beschäftigen kann? Es mag ja durchaus sein, dass diese Frage die Europäische Konvention der Menschrechte tangiert, aber mal ganz ehrlich: Es gibt einfach dringendere Menschenrechtsprobleme als das. Ein Kreuz in einem Klassenzimmer nervt vielleicht Moslems, Juden, Atheisten oder andere Nicht-Christen, aber da draußen, mitten in Europa, werden Menschen verdachtslos bei der Einreise festgehalten, bespizelt, überwacht und ihnen wird das Recht auf freien Zugang zu Bildung verwehrt. In einer Zeit in der die Unis sprichwörtlich brennen, wäre ich froh überhaupt einen Stuhl in einem Klassenzimmer zu haben, ob dann dort irgendwo ein Kreuz, ein Halbmond oder ein Davidstern hängt, wäre mir ehrlich gesagt zweitrangig.
Ausgangspunkt des Urteils war übrigens ein Urteil eines italienischen Gerichts, dass das Kreuz als Teil der italienischen Geschichte und Kultur deklariert hat. Hier möchte ich vor allem die ganzen Europa- und „Lissabon“-Kritiker mal fragen: Habt ihr kein Problem damit, dass ein nicht demokratisch verfasstestes Gericht einem souveränen Staat vorschreibt was er als Teil seiner Geschichte und Kultur deklarieren darf und was nicht? Also lasst uns Subsidiarität leben und lasst die Italiener selbst entscheiden.
3 Kommentare
2009-11-13 um 10:45 am
Harald Milz
Weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht demokratisch legitimiert ist, ist ja sein Urteil auch nicht (für Italien) bindend, was dieser unsägliche Berlusconi dann auch gleich süffisant angemerkt hat (dass er nicht gesagt hat „die können mich mal“ ist eine andere Geschichte).
Aber Du hast schon recht: Haben die kein anderes Problem, als sich mit herum hängenden Kreuzen zu beschäftigen. Antwort: Nein, so lange keiner gegen die genannten Missstände klagt, hat der Gerichtshof das nicht. Das Gericht kann ja nicht von sich aus tätig werden. Aber – und jetzt beißt sich Deine Argumentation ein bissel in den Schwanz: Selbst wenn jemand klagte, wäre ja ein Urteil mangels Legitimation nicht bindend. Es wäre sinnvoll, wenn sich der Gerichtshof mit diesen Fragen beschäftigen würde, aber dann dürfte er kein zahnloser Tiger sein, sonst geht das dann auch wie das Schießen zu Hornberg. Und wenn er das nicht wäre, wäre wiederum das Kruzifix-Urteil bindend.
Wie auch immer: Der Staat soll sich theologisch neutral und in öffentlichen Gebäuden säkular verhalten.
2009-11-13 um 12:17 pm
Thomas W.
Ich stimme dir zu, dass es sicherlich wichtigere Probleme gibt. Dennoch, als jemand, der auf dem bayerischen Hinterland als „Ungetaufter“ die religiöse Toleranz seiner Mitmenschen selbst erfahren durfte, freue ich mich über das Urteil. Trotz meiner eigenen Erlebnisse möchte ich bei aller berechtigten Kritik niemandem Religion verbieten. Es soll einfach jeder „nach seiner eigenen Facon“ glücklich werden. Religion ist für mich damit etwas das zum Privatesten eines Menschen gehört und nicht ins Klassenzimmer. Die von diesem Urteil Betroffenen bitte ich daher ihren normalen Verstand einzuschalten. Wenn schon alles am christlichen Abendland allein am hölzernen Bekenntnis in den Schulen hängt, dann ist das (1) ein Armutsbekenntnis für die betreffende Religion und ihre Inhalte, (2) eine Missachtung von Mitmenschen da man Ihnen hiermit immer einseitig etwas aufdrängt und (3) ist die Berufung auf Tradition bei der christlichen Geschichte immer ein sehr zweischneidiges Schwert. Sich bei letzterem immer nur auf positive Aspekte zu berufen ist außerdem geschichtsverfälschend!
Es wäre schön, dass man hier auf einen Konsens kommen könnte, ohne das europäische Gericht anzurufen.
2009-11-13 um 12:44 pm
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