Ist noch gar nicht so lange her, da habe ich hier in diesem Blog über die schönen Seiten der direkten Demokratie philosophiert. Nun lernen wir die Schattenseiten kennen. Die Schweizer haben kurzerhand mit einer Volksinitiative die Minarette an Moscheen verboten. Das wird überall sehr intensiv diskutiert, auch im Netz: Die freiheitlich denkenden schauen mit Bestürzung in unser südliches Nachbarland, einige sehen es als Triumph der Demokratie, die radikalen Atheisten sehen den Anfang vom Untergang aller Religionen und die Rechte feiert natürlich. Ich denke dieser Zusammenhang ist durchaus eine Grundsatzdebatte über die direkte Demokratie wert.

Doch vorweg hier nochmal eine Meinung zur Problematik die ich loswerden will: Fakt ist, die Schweizer  haben erst einmal Tatsachen geschaffen, egal wieviel wir diskutieren, ändern wird es wohl so schnell nichts. Ein Argument was ich allerdings schon mehrfach gehört habe, bringt mich auf die Palme: „Die Araber verbieten doch auch Kirchen.“ Ich bin der letzte, der den christlichen Glauben nicht als wichtigen Teil der europäischen Geschichte und Kultur bezeichnen würde, aber das schlägt dem Fass den Boden auf. Nur weil in Staaten, in denen es noch Verurteilungen wegen Hexerei gibt, eine christliche Minderheit diskriminiert wird, diskriminieren wir unsere muslimische zurück? Enthaupten wir auch jetzt unsere Taliban-Gefangenen nur weil die Taliban sowas machen? Diese barbarisch Auge-um-Auge-Mentalität macht mich krank. Sorry.

Nun aber zur versprochenen Grundsatzdebatte. Viele Leute finden das Schweizer System ja supertoll, ich finde es katastrophal. Im Gegensatz zu dem was auch hier manchen Demokratie-Aktivisten vorschwebt, gibt es keinen langwierigen Prozess der viel Öffentlichkeit und Diskussion vorraussetzt. Die Quoten sind verschwindend gering, nur 100 000 Bürger müssen unterzeichnen um eine Initiative in die Wege zu bringen. Das hat zur Folge, dass das schweizer Volk mit einer regelrechten Schwemme von mehr oder minder sinnvollen Volksinitiaven bedeckt wird. Diese beschäftigen sich mit zum Teil durchaus komplexen Fragestellungen, die ein hohes Vorwissen vorraussetzen. Ich kann als Freizeitpolitiker mit Tagesjob durchaus sagen, dass es mir schon schwer fällt bei allen Themen am Ball zu bleiben, die mich selbst interessieren. Ich für meinen Teil könnte mir nicht die Zeit nehmen mein Steuerrecht aufzufrischem, um mich mit der Initiative «Für faire Steuern. Stopp dem Missbrauch beim Steuerwettbewerb (Steuergerechtigkeits-Initiative)» sinnvoll auseinander zu setzen. Und dank fehlender Delegationsmöglichkeiten kann ich nicht mal einen Berufspolitiker meines Vertrauens bitten für mich abzustimmen in dem ich z.B. meine Stimme an das Paralement abgebe.

Was mir auf so machen Parteitagen passiert, geschieht in der Schweiz auf breiter Fläche: Die Leute werden wahlmüde. Vor der Beteiligungen an manchen Volksabstimmungen muss sich nicht mal unsere Europawahl verstecken. Faktisch haben 32% der Schweizer für ein Minarettverbot gestimmt und damit ist es durch. Was ist passiert? Ich glaube nicht, dass die Schweizer grundsätzlich ein xenophobes Volk sind, aber dass es durchaus eine gut organisierte xenophobe Minderheit gibt, die mit Hetze und Panikmache nun eine gute Stunde erwischt hat. Und genau das ist das Problem, wenn man es nicht richtig macht. Minderheiten können sich unversehens durchsetzen und die viel beschworene „Weisheit der Masse“ wird zur „Hintertür der Minderheiten“.

Ich für meinen Teil bin ein Befürworter der direkten Demokratie, aber das System muss vorraussetzen, dass ein Volksentscheid das nötige Interesse einer entsprechenden Menge von Bürgern vorraussetzt und dass auch Volksentscheide ihre Grenzen in den Grundrechten finden. Ein Fehler der häufig passiert ist, dass viele ein abgeschmettertes Volksbegehren als Niederlage für die Demokratie sehen, aber das Gegenteil ist der Fall. Die Mehrheit konnte zum Ausdruck bringen „Lasst mich mit dem Blödsinn in Ruhe. Für solchen Mumpitz hab ich Leute gewählt die sich drum kümmern“. Und hier kommt der zweite Aspekt ins Spiel, das Systen muss sich aus direkten und representativen Elementen zusammensetzen. Wir können nicht alle ständig über alles mitentscheiden. Liquid Democracy ist vom Ansatz her zum Beispiel sehr interessant, auch wenn es da noch sehr viele offene Fragen gibt. Ich denke aber es lässt sich auch gut in Volksentscheide integrieren, indem die direkt Abstimmenden quasi gegen das Parlament abstimmen und je mehr mitmachen umso mehr Gewicht erhalten sie.

Ich werde mir aus aktuellem Anlass vielleicht wirklich nochmal genauere Gedanken machen, wie man ein schönes System für Volksentscheide bauen könnte, aber eins weiß ich schon jetzt: Ich will nicht in einem Staat leben, in dem aufgeklärte und friedliche Muslime diskriminiert werden, das Schweizer System ist für mich gescheitert.

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