Gerade habe ich einen sehr schönen Blog-Eintrag über den Crew- und Kreisverbändestreit in NRW gelesen. Leider musste ich sehen, dass die Argumentation ziemlich einseitig ist, was mir ein bisschen unter den Nägeln brennt. Versteht mich nicht falsch, ich gehöre nicht zum LV NRW und Subsidiarität gehört zu meinem Verständnis von Basisdemokratie, weswegen ich mich gar nicht einmischen will. Ich will aber als Mitglied des ältesten Kreisverbands der Piratenpartei dennoch einfach mal ein kleines Gegengewicht bilden und auch den Argumenten der Gegenseite Gehör verschaffen.

Zuerst einmal muss ich gestehen, dass ich von Anfang an ein starker Gegner des Crew-Systems war und deswegen mein Stand ehrlich gesagt noch ganz aus der Anfangsphase der Idee stammt. Ich lasse mich gerne korrigieren, wenn ich hier Fakten falsch verstanden haben sollte. Grundsätzlich lese ich im obigen Blogeintrag, aber genau die selbe Intention wie zu Beginn der Idee: Wir wollen die Dinge anders machen. Dieses Argument will ich schlicht und ergreifend nicht gelten lassen. Dinge anders zu machen nur um des anders machen willens ist kindisch und lächerlich, man muss sich schon auf andere Argumente berufen. Und das was mir damals vor etwa 18 Monaten als Crew-System präsentiert wurde, war auch nicht neu und anders, sondern schlicht und ergreifend ein Sowjet-System. Kleine Gruppen die basisdemokratisch entscheiden (Crews) entsenden Deligierte in höhere Gruppen (AGs, PGs) die wiederum Deligierte in Dachgruppen entsenden können. Man gestatte mir außerdem den Seitenhieb, dass gerade die härtesten Verfechter des Crewsystems, die davon sprechen sie wollen auf keinen Fall so degenerieren wie die Grünen, sich in NRW dafür einsetzen im Alleingang die politischen Themen der Partei zu verwässern, weil sie sich davon Sitze im Landtag versprechen.

Was dabei von den Crew-Befürwortern komplett übersehen wird ist: man kann auch Kreisverbände anders machen. Eine Ämterrotation kann man auch in eine Kreissatzung schreiben und gerade in kleinen KVs spricht nichts dagegen einfach alle in den Vorstand zu wählen. Die Abneigung gegenüber KVs ist meines erachtens bei vielen schlicht und ergreifend in einem Beißreflex gegenüber dem Schaffen von Ämtern und Posten. Das kann ich grundsätzlich verstehen, dass es Leute gibt, die sich für das was sie machen am liebsten einen auf sie zugeschnitten Posten in die Satzung schreiben wollen, geht mir auch tierisch gegen den Strich. Aber Kreisvorstände haben auch ihre Vorteile. Zum einen ist ihre Öffentlichkeitswirkung gewaltig. In Bayern zumindest bist du schlicht und ergreifend nichts, wenn du da rumcrewst. Wenn du den Leuten erzählst du bist Crew-Sprecher, dann sind sie verwirrt und schalten ab, wenn du aber sagst, du bist Kreisvorstand gehen sofort die Augen auf. Das hat natürlich auch andere Gründe. Wenn ich mir eine Stadt wie München (KV in Gründung) anschaue, mit mehreren hundert Piraten, dann müsste es da mindestens 10 Crews geben. Die Presse interessiert sich aber nicht für unsere internen Strukturen, die wollen jemanden der für die Münchner Piraten sprechen kann und fertig.

Auch die beschworenen Probleme, dass ein Vorstand dazu führt, dass die Leute nicht mehr eigenverantwortlich arbeiten will ich nicht gelten lassen. Jemand der sagt, die fehlende Aktivität in einem Ort liegt nur am Vorstand, der macht exakt den gleichen Denkfehler, wie die Leute die alles auf den Vorstand schieben. Auch wenn man den Gestank des Fisches gerne am Kopf suchen möchte, kommt er in den meisten Fällen einfach aus den Eingeweiden. Wenn die Leute halt keinen Vorstand haben, auf den sie die Arbeit abdrücken können, dann muss die Dinge halt immer jemand(tm) machen. Wenn es Leute gibt die engagiert sind, bereit sind Verantwortung zu übernehmen, Augenmaß und Vernunft haben und in der Lage sind andere zu motivieren, dann läuft der Laden. Und es kommt dabei überhaupt nicht darauf an, wer wo in welchem Vorstand sitzt. Das Rückrat in unserem Ingolstäder KV ist sicher nicht der Vorstand (sorry Leute 😉 ).

Das Hauptproblem was ich derzeit sehe ist, dass viele mit einem sehr totalitären und auschließendem Denken an die beiden Konzepte rangehen. Dabei finde ich sie können sich sehr gut ergänzen. Letztens sah ich von einem Treffen in NRW ein Bild, bei dem auf einer Tafel das Wort „oder“ beim Pasus „Crews oder KVs“ durch „und“ ersetzt wurde. Und ich denke, dass ist der richtige Weg. Crews können, wenn man die Struktur denn will, für das interne Arbeiten gut sein. Nach außen wirkt der Kreisverband.

Aber es gibt tatsächlich einen Konflikt in der Sache, der in meinen Augen auch das beste Argument für Kreisverbände ist: der schnöde Mammon. Niemand kann ohne Geld arbeiten, aber wie derzeit das Geld im Crew-System fließt macht mir große Sorgen. Sachverhalte, die das Gesetz zumindest vorsieht (wie Gebietsverbände), sind nicht immer nur schlecht. Es hat etwa durchaus seinen Sinn, dass das PartG vorschreibt, dass solche Verbände Vorstände haben müssen, die einen Schatzmeister brauchen. Parteien sind keine Rechtspersonen, das Geld gehört nicht der Partei, es gehört den Mitgliedern und der Schatzmeister hat deswegen eine Treuhändereigenschaft. Die Partei kann damit auch nicht alles machen, was sie will.

Derzeit weiß ich ganz klar, was der letzte Job ist, den ich in der Piratenpartei machen möchte und das ist Schatzmeister in NRW. Auch wenn man sich lustige Crew-Systeme baut, der Schatzmeister kann (genauso wenig wie der Rest vom Vorstand) nicht einfach seine Hände in Unschuld waschen. In der Crew ist niemand greifbar. Und im gesamten Landesverband für jede Mikrozahlung verantwortlich zu sein wächst einem irgendwann über den Kopf. Und nicht nur das, wenn auch nur eine Crew Schindluder mit ihrem Geld treibt, dann baumelt der gesamte Landesverband am Galgen. Eventuell ist die Partei gezwungen, den Verband auszuschließen um nicht die Parteienfinanzierung oder Zulassung zu Wahlen zu verlieren und da schließ ich im Zweifel lieber einen KV aus, als den zweitgrößten Landesverband. Desweiteren ist der Landesschatzmeister im Crew-System ein Single Point of Failure.

Ein Kreisverband dagegen hat vollständige finanzielle Autonomie und Rechenschaftspflichen und ist viel flexibler. Wenn wir Geld brauchen, dann legen wir am Stammtisch einfach zusammen, der Kreisschatzmeister schmeißt eine Runde Quittungen, trägt die Spenden in sein Kassenbuch ein und schon ist der Pavillon gekauft, ohne dass wir erst zum LV laufen müssten. Und ob der Stammtisch sein Geld nun bei der Crew oder dem KV holt ist vollkommen irrelevant.

Fazit: Geld ist bei den Crew schlecht aufgehoben. Und wenn man denen das weg nimmt, dann können Crews und Kreisverbände problemlos nebeneinander existieren.

Update: In der Zwischenzeit hat fukami als „NRW-interner“ seine Sicht der Dinge zum besten gegeben, die ich hier natürlich auch explizit verlinken will.

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