Da ist er rum, der 5. Bundesparteitag der Piratenpartei Deutschland. Mein Rücken bringt mich um, meine Stimme ist weg aber dafür habe ich jetzt wenigstens wieder acht Stunden am Stück geschlafen. Wird also Zeit mein Fazit des Bundesparteitags zu ziehen.
Zuerst möchte ich mich auch hier noch einmal für das Vertrauen bedanken, mich in meinem Posten im Bundesvorstand zu bestätigen. Ich hoffe ich werde dem trotz der supoptimalen Ausgangslage (mehr dazu unten) gerecht.
Im Großen und Ganzen haben wir ein paar ein paar Entscheidungen getroffen, die ich sehr begrüße, insbesondere die Ratifizierung des PPI-Beitritts und die Anerkennung der JuPis als offizielle Jugendorganisation der Partei. Ich will aber dieses Mal ausnahmsweise die negativen Aspekte in den Vordergrund rücken.
Die zunehmende Größe des Parteitags sorgt dafür, dass man zu immer weniger kommt. Das Motto lautete wie so oft: „Es wurde schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem.“ Es ist nichts neues, dass wir uns fast mehr darüber unterhalten wie wir tagen, anstatt tatsächlich zu tagen, aber so langsam erreicht es die kritische Masse, gerade am guten alten Samstagabend, wenn man sich eine Stunde darüber streitet, wie man die letzten 30 Minuten am besten nutzt. Hier sehe in zumindest den Bedarf, die GO so auszuarbeiten, dass die Versammlungsleitung die Möglichkeit hat den Ablauf zu glätten und den der Missbrauch von GO-Anträgen zu sanktionieren (z.B. durch Entzug des GO-Antragsrechts). Dazu müssen natürlich auch die sonstigen Anträge so gegliedert und vorausgewählt werden, dass man sie nicht erst per GO-Antrag dahin holen muss, wo sie hin sollen (z.B. durch Einführung einer Art Ablaufantrag). Hier haben wir sicher noch eine Menge Verbesserungsbedarf.
Nun aber weg vom Ablauf, hin zu den Ergebnissen des Parteitags. Zwei Punkte haben mich an dieser Stelle besonders getroffen. Der erste ist die Zusammensetzung des Bundesvorstands. Versteht mich bitte nicht falsch. Ich habe kein Problem mit den gewählten Personen, das sind alles gute Leute sonst hätten sie sicher nicht so viele Stimmen hinter sich gebracht. Aber das aller erste, was wir festgestellt haben, war eine massive Überschneidung der Kompetenzen der Gewählten und das Fehlen von anderen. So ist auch dieses Mal wieder niemand im Vorstand, der sich um die Verwaltung kümmern möchte und ihr müsst wieder mit mir Vorlieb nehmen, der sich aber eben leider nur halbherzig um die Sache kümmern kann. Ich kann und werde natürlich versuchen zu delegieren, aber es ersetzt eben leider nicht den guten alten Bundesgeneralsekretär.
Und was ist der Grund? Auf die Frage nach meinem größten Fail, müsste ich nun wohl antworten, dass ich den Satzungsänderungsantrag durchgebracht habe, der diese generischen Beisitzer einführt. Denn wie sich nun zum zweiten Male heraus stellte, scheint es dem Bundesparteitag wichtiger zu sein, möglichst wenig Abstimmungen zu machen, anstatt sich wirklich um die sinnvolle Zusammensetzung des Vorstands zu bemühen. „Lasst den Bundesvorstand es halt unter sich ausmachen“ ist meiner Meinung nach der falsche Weg. Für die Arbeit im Bundesvorstand braucht man gewisse Erfahrung über die Strukturen denen man sich innerhalb der Partei annehmen will. Und als Vorstand fühlt man sich halt ins kalte Wasser geworfen, wenn drei Leute das gleiche machen wollen und sich zwei davon nun plötzlich mit etwas völlig anderem beschäftigen müssen. Ich glaube, dass wir das hinkriegen werden, wir haben es letztes Jahr schließlich auch geschaft, aber die Voraussetzung sind wirklich alles andere als optimal.
Das zweite was mich ehrlich gesagt etwas niedergeschlagen hat war, dass mein Programmtrennungsantrag so knapp an der 2/3-Mehrheit scheiterte. Ich glaube, dass es unsere programmatische Arbeit massiv zurückwirft. Es bringt nichts über Inhalte zu diskutieren, wenn wir uns nicht einmal einig sind, wo der grundsätzliche Weg hingeht. Dennoch scheine ich die Mehrheiten wohl falsch eingeschätzt zu haben. Ca. 450 zu 250 Stimmen ist zwar eine dicke Mehrheit, aber sie reicht eben (zum Glück) nicht aus um unser Grundsatzprogramm zu ändern. Die Frage die ich mir nun stellen muss ist: Ist das Thema damit passé? Es war zumindest eine sehr klare Mehrheit der Anwesenden, die diesem Antrag zustimmten. Ich habe bei dem einen oder anderen Einzelgespräch versucht, die Intention der Leute, die dagegen gestimmt hatten, zu erfahren. Ich habe dabei im Wesentlichen drei Gründe heraushören können:
- Es gibt Leute, die grundsätzlich gegen eine Erweiterung des Grundsatzprogramms sind und eine Programmtrennung deshalb für nicht zielgerichtet halten. Diese werden wir nicht überzeugen können.
- Es gibt Leute, die zwar für die Programmtrennung sind, aber Probleme mit der Präambel haben. Im Vorfeld hatten sich leider nicht viele Leute in der Antragsfabrik an der Ausarbeitung der Präambel beteiligt und ich dachte nicht, dass diese wirklich für irgendwen wahlentscheidend ist. Ich schätze diese Menge auch als sehr klein ein, aber die Entscheidung war denkbar knapp. Ich hoffe die Präambel demnächst in Liquid Feedback ausarbeiten zu können.
- Andere sind für eine Erweiterung des Grundsatzprogramms, wollen aber, dass alle Themen gleichrangig sind.
Ich glaube, letztere sind diejenige, die es zu überzeugen gilt. Einige schienen zwar bereits am Ende des Parteitags überzeugt, aber wer weiß wer das nächste Mal anreist. Der Effekt ist nämlich, dass fehlende Kompromissbereitschaft hier den Stillstand auslöst. Anstatt gleichberechtigte, neue Themen im Grundsatzprogramm, haben wir nun halt keine. Dies würde mich zwar grundsätzlich nicht stören, da meine wichtigsten politischen Interessen bei den PIRATEN bereits jetzt zu 95% gedeckt sind, aber ich glaube es löst bei vielen anderen Frust aus, da die Mehrheit wohl tatsächlich auch politische „Standard-Themen“ beackern möchte.
Ich glaube die meisten haben gesehen, dass es eigentlich viel zu früh ist, die Frage nach den Inhalten einer Erweiterung zu stellen, sondern dass wir zuerst ein grundlegendes Konzept brauchen. Ich will nicht sagen, dass es meines sein soll. Ich würde gerne auch andere Konzepte sehen. Aber mit dem Status Quo treten wir nun auf der Stelle.
8 Kommentare
2010-05-18 um 8:02 am
Urban Pirate
Moin Andi,
deinen Beitrag in allen Ehren, aber ich wünschte, du wärst nicht wiedergewählt worden. Durch Jens‘ und deine Wiederwahl ist mir offensichtlich geworden, dass es ein hartes Stück Arbeit wird, außerhalb unseres kuscheligen Berliner LV ein halbwegs vernünftiges Vollprogramm durchzuboxen. Versteh mich nicht falsch, ich meine das nicht persönlich. Es ist nur so, dass ich eine Vorstellung habe, wo die Piraten hinsteuern sollten um eine Vision zu verwirklichen und du scheinbar eine Andere. Dein Vorschlag des kleinen Parteitags hat da eine Geisteshaltung offenbart, die nicht im mindesten eine Schnittmenge zu der Meinen aufweist.
Der einzige Erfolg, den wir nach Bingen zu verbuchen haben, ist die Bundeseinführung von Liquid Feedback. DORT sollte jetzt die programmatische Arbeit stattfinden. Wozu wir einen Sonderparteitag brauchen, 3 Jahre vor der nächsten BTW, will sich mir nicht erschließen. Wichtiger wäre es jetzt, die Bundesländer zu unterstützen, in denen die nächsten Wahlen stattfinden. Was spricht denn dagegen, die Programme bottom-up aus den Ländern in den Bund zu tragen? Machen wir es so, haben sich doch diverse Programmpunkte bereits als mehr oder weniger trag- und konsensfähig erwiesen.
Denkt mal alle drüber nach.
Aloha
2010-05-18 um 9:17 am
Andi
Ich nehme nix persönlich was hier an Kommentaren kommt. Zumindest fast nichts 😛
1.) Den Vorschlag mit dem kleinen Parteitag war bewusst provokant, in der Hoffnung die Leute lesen die Begründung und verstehen das Problem mit der Vollversammlung (und lesen insbesondere die Alternative der URABSTIMMUNG!). Ich habe keine Aktien in diesem Antrag, sonst hätte ich den viel stärker beworben (wie ich es ja z.B. mit dem Programmtrennungsantrag gemacht habe.) Wenn du keine Schnittmengen mehr zwischen uns siehst, nur weil ich „Jehova“ gesagt habe, finde ich das sehr schade.
2.) Du willst ein „vernünftiges Vollprogramm“, das ist erst einmal natürlich dein gutes Recht. Es gibt andere, die wollen das Programm genau so lassen wie es ist. Es ist auch deren gutes Recht. Meine Intention ist jetzt einen Konses zwischen beiden Gruppen herzustellen. Wir haben bewusst qualifizierte Mehrheiten um unser Programm zu ändern, weil wir möglichst viele Leute mitnehmen müssen und eben nichts „durchboxen“ um dich zu zitieren. Ich würde sogar soweit gehen, dass es nicht nur „sehr schwierig“ ist ein „vernünfigtes Vollprogramm durchzuboxen“, sondern fast nicht möglich. Also musst du dir die Frage stellen: Bist du bereit mit einem Konsens (wie auch immer geartet, muss wie gesagt nicht mein Vorchlag sein) auf die anderen zuzugehen und neue Themenfelder damit überhaupt ermöglichen, oder willst du weiter auf deinem Standpunkt bestehen und den Status Quo beibehalten?
3.) Ich finde die Idee des „Von unten nach oben“-Generierens von Programmen sehr gut. Was ich dagegen überhaupt nicht mag ist „Von unten nach außen“.
2010-05-18 um 8:11 am
Thomas Heinen
„Aber das aller erste, was wir festgestellt haben, war eine massive Überschneidung der Kompetenzen der Gewählten und das Fehlen von anderen. So ist auch dieses Mal wieder niemand im Vorstand, der sich um die Verwaltung kümmern möchte“
Da kann ich nur die Frage in den Raum stellen: Warum haben die Kandidaten, deren Kompetenzbereich bereits durch andere abgedeckt worden ist, nicht ihre Kandidatur zurückgezogen? Es gab ja immerhin 3 Wahlgänge. Das wäre IMHO sowieso besser, als automatisch beim nächsten Wahlgang die Hälfte wegfallen zu lassen und damit einige sehr gute bis optimale Besetzungen für z.B. die Verwaltung zu eliminieren. Dass die Verwaltungsleute keine schillernden Persönlichkeiten sind trägt leider dazu bei, dass sie zu wenige Stimmen generieren. Vielleicht sollte man die Wahlordnung wirklich dahingehend ändern und auf den gesunden Menschenverstand der Kandidaten setzen, dass sie nicht auf Teufel komm raus in den Vorstand kommen wollen und ihre Kandidatur dann doch zurückziehen, wenn es in Bezug auf die Vorstandszusammensetzung keinen Sinn mehr macht. Im Endeffekt schadet das nämlich der Partei und dient höchstens noch dem eigenen Ego.
2010-05-18 um 9:02 am
Andi
Eine solches Selbstverständnis ist denke ich sehr schwer zu realisieren. Dies hat denke ich zwei Gründe: Erstens würden nur die vernünftigen Leute solche Rückzieher machen und damit Leuten die eben nicht so vernünftig sind, das Feld überlassen und das wollen wir sicher nicht. Und zweitens sind sich die Kandidaten natürlich überhaupt nicht einig, was den die wichtigen Schwerpunkte sind. So gibt es Leute, die der Meinung sind es braucht einen spezialisierten Technikverantwortlichen im BV, andere nicht. Die Entscheidung dazu muss schon der Parteitag selbst treffen, das ist seine Aufgabe, nicht die Aufgabe der Kandidaten.
2010-05-18 um 11:24 am
Oktavian
Hallo Andi,
habe mir den BPT im Netz angeschaut und finde es schade daß so wenig inhaltliches rüber kam. Ich war letztes Jahr auf den LPT Niedersachsen und es war fast so wie jetzt ein GO jagte den nächsten . Als ich als Wahlhelfer bei der Bundewahl am Info Stand für die PIRATEN geworben habe viel mir auf das viele von mir antworten haben wollten und ich denen nur sagen konnte was meine persönliche Überzeugung ist und nie sagen konnte das sagen die PIRATEN da sie dazu noch keine Position bezogen haben.
Nach diesen BPT habe ich immer noch keine Antworten zu Themen wie Gesundheit, Wirtschaft, Arbeitslosigkeit usw.
2010-05-18 um 2:38 pm
Moritz
Kritische Stimmen aus den eigenen Reihen finde ich gut – wenn Leute wie ich von außen kritisieren, wird es oft doch nur halbherzig angenommen. Mein Problem beim BPT10 hat Oktavian auch schon angesprochen: inhaltlich ist bei mir nichts relevantes hängen geblieben und ich habe – wie du schon schreibst – das Gefühl, als würde die Partei mit ihrem Programm auf der Stelle stehen. Gerade das kann sie sich aber absolut nicht leisten: jede Landtagswahlteilnahme, bei der die Piraten mit diesem Programm antreten werden, wird die 5%-Hürde nicht einmal streifen. Viele Wähler – und da schließe ich mich mit ein – brauchen mehr als einen guten Willen und Basisdemokratie (die finde ich als Mitglied von Amnesty International übrigens super und ich freue mich schon auf die Jahreshauptversammlung dieses Wochenende, die vermutlich auch recht lebendig wird).
Gruß, Moritz (aus Bayern ;-))
2010-05-18 um 4:39 pm
RP
Ach du Schreck!
Ich hoffe, du bist nicht so frustriert, wie dein Text klingt 😉
Für sehr wichtig halte ich, dass eine liquide Demkratie in die Parteistruktur Einzug halten wird. Seit Jahren wurde darüber geredet. Endlich ist es geschafft! Das freut mich.
Das ist der Erfolg des BPT2010.1
Wir haben in Berlin sehr gute Erfahrungen mit liquid feedback gemacht. Jederzeit und nicht nur einmal im Jahr, lassen sich sehr einfach die Mehrheiten für Konzepte, Themen, Anträge usw. ermitteln. Feste Strukturen sind dann immer nur temporär, solange sie funktionieren und dadurch Mehrheiten finden. So muss moderne Piraten-Demokratie sein. Es geht um Themen, nicht um Köpfe.
Danke an dich, für deine Vorstandsarbeit.
RP
2010-05-19 um 11:48 am
BurkhardHH
Ich hätte mir auch gewünscht, dass der Antrag mit dem geteilten Programm durchgekommen wäre. Und das gar nicht mal, weil er einen guten Kompromiss zwischen Erweiterern und Kernkompetenzlern darstellt, sondern auch weil ich ihn inhaltlich tragen würde. Wir sind nunmal die Partei der digitalen Gesellschaft. Das ist das, was uns zusammengeführt hat, das ist das, worüber wir unsere Wähler rekrutieren, und das ist das, wo wir später in evtl. Koalitionsverhandlungen keine Kompromisse eingehen sollten.
Aber wir brauchen auch was, was wir den Leuten auf der Straße bei Bedarf erzählen können, wenn sie uns nach Atomkraft, Hartz4, Homoehe o.ä. befragen.
Dass die Präambel ziemlich schlecht ist, und mir auch Bauchschmerzen bereitet hat, muss ich allerdings dazu sagen. (Sorry.) Aber auf der anderen Seite ist da jeder (inkl. mir) selber Schuld, der die Anträge erst zwei Tage vor dem BPT gelesen hat, als Verbesserungen nicht mehr möglich waren.
Ich gehe daher davon aus, dass ein besser formulierter Antrag selben Inhalts beim nächsten Mal das erforderliche 2/3 erreichen wird – auch weil die Erweiterungsbefürworter eingesehen haben sollten, dass es ansonsten mit der Erweiterung gar nichts wird.