In den letzten Tagen durchzieht eine Debatte die Piratenpartei, die bereits aus der Partei herausschwabbt. Auslöser war eine recht erfolgreiche Liquid-Feedback-Initiative, welche die Abschaffung des Schutzes der Ehe in Art. 6 GG fordert. Völlig zurecht stellte da Rainer Klute die Frage Piraten schützen das Grundgesetz – oder doch nicht? und ValiDOM fordert den Schutz von Ehe und Familie zu erhalten. Eine sehr interessante neutrale Analyse des Sachverhalts liefert Felix Neumann in seinem Artikel Piraten und Grundgesetz. Die dort aufgeworfenen Fragen, möchte ich nun erneut aufgreifen und meine Sicht der Dinge hier darstellen.
Wir haben immer damit geworben, dass das Grundgesetz für uns Programm ist. Gemeint waren damit natürlich primär die Grundrechte, wie sie in den Artikeln 1-19 verbrieft sind. Heißt das jetzt, dass wir jede Änderung an diesen Artikeln wirklich kategorisch ablehnen? Mitnichten würde ich sagen. Das Grundgesetz ist auch für die PIRATEN keine göttliche Offenbarung, sondern ein von Menschen geschriebenes Werk, dass durchaus fehlerbehaftet sein kann, sowohl in seiner ursprünglichen Version von 1949 als auch in der aktuellen.
Interessant ist für uns dabei viel eher der Wesensgehalt der dort verbrieften Grundrechte. Wichtig ist dabei insbesondere festzuhalten, dass diese durchaus recht abstrakt abgefasst sind. Der Grund dafür ist natürlich, dass das Grundgesetz nicht dafür gedacht ist, ständig an gesellschaftliche Entwicklungen angepasst zu werden. Aus diesem Grund kann sich die tatsächliche Ausprägung eines Grundrechts ändern.
Dies erkennt man auch an der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, welche aus bestehenden Grundrechten neue ableitet, aber auch früher verurteilte Verhaltensweisen der Politik heute zulässt. Das Verfassungsgericht ist dabei natürlich nicht unfehlbar und wandert dashalb stets auf dem schmalen Grat zwischen juristischen und politischen Entscheidungen.
An diesem Wesensgehalt sollten sich auch die PIRATEN orientieren, aber dies vermisse ich bei der oben erwähnten LF-Initiative massiv. Es ist eher so, dass für einige Piraten traditionelle Konstrukte wie die Ehe, die eventuell historisch priviligiert sind, zum Feindbild stilisiert werden, zum Teil eben sogar so sehr, dass ohne Rücksicht auf Verluste Grundrechte gestrichen werden. Der Ansatz »was ich nicht habe, sollen die andern auch nicht haben« ist dabei extrem destruktiv.
Statt dessen müssen wir als Piraten, ja als Politiker, uns damit beschäftigen den Wesensgehalt dieses Grundrechts zu erfassen und weiterzuentwickeln. Wir müssen konstruktiv statt destruktiv an die Sache herangehen. D.h. wir als PIRATEN, die wir uns als bunt, individuell und vielfältig definieren, müssen uns etwa fragen, ob wir den Schutz der Ehe auf andere Formen des Zusammenlebens ausdehnen wollen, anstatt ihn abzuschaffen (quasi die Definition der Ehe in diesem Kontext). Dazu ist es natürlich unerlässlich den Status Quo der Interpretation dieses Grundrechts zu erfassen.
Und genau in diese Kerbe der letzten beiden Absätze, schlägt ValiDOM. Er wehrt sich dagegen die traditionelle Ehe, bzw. deren Schutz durch das GG, als Feindbild aufzubauen und er recherchiert und verteidigt die aktuelle Interpretation.
Dies muss ich leider erneut zum Anlass nehmen, den zwischenmenschlichen Umgang in der Partei zu kritisieren. Selbst von außen konnte ich miterleben wie ValiDOM selbst von Piraten, die ich eigentlich sehr schätze (Update: Missverständnis, bezog sich auf was anderes, sorry), pauschal und undifferenziert unterstellt wird, er würde andere Formen des Zusammenlebens geringschätzen, obwohl er dies explizit verneint hat. Diese Keulenschwingerei ist vielleicht einer Ursula von der Leyen würdig, aber nicht der Piratenpartei.
Aus diesem Grund möchte ich hier explizit betonen, dass ich ValiDOMs Meinung sehr schätze, auch wenn ich sie nicht (mehr) teile. Nur durch die saubere Eröterung seiner Meinung konnte ich beginnen meine eigene zu bilden. Dieser Prozess ist bei mir allerdings noch nicht abgeschlossen und ich glaube das Thema ist zumindest für mich nicht geeignet es asynchron in Textform zu diskutieren. Ich werde statt dessen das unvoreingenommene, direkte Gespräch mit einigen Piraten suchen und empfehle den »Streitparteien« es mir gleich zu tun.
17 Kommentare
2010-09-24 um 5:53 am
Aleks A.
Zum einen vielen Dank für die Blumen.
Zum Anderen aber: Bitte auch den zweiten Link betrachten, den ich in meinem Blogpost aufstelle (Leibowitz). Der wiederum ist der Ultrakonservative Blogpost, den ich meinte.
Da du aber nicht der erste bist, der meint, ich würde Vali anhauen für etwas, was er nicht geschrieben hat (Ich haue ihn nicht dafür, er hat’s tatsächlich nicht geschrieben), werde ich in Zukunft genauer schreiben, wen ich anspreche, oder aber meine Links differenzierter positionieren.
Man lernt eben nie aus.
Aleks
2010-09-24 um 6:30 am
Andi
Ok, da muss ich gestehen dass ich deinen Link aus Rainers Blogpost gezogen habe und dort irgendwie reininterpretiert hab, dass du gegen ihn gepostet hast. Fuckup, sorry dafür.
2010-09-24 um 7:55 am
Aleks A.
Kein Problem. Wie ich schon schrieb bist du nicht der einzige, der meinte, ich würde auf Vali draufhauen. Nicht, dass ich mit Vali einer Meinung wäre, aber das ist was anderes.
Und deswegen muss ich überprüfen, wie ich das nächste Mal besser differenziere.
2010-09-24 um 5:56 am
Piraten schützen das Grundgesetz – oder doch nicht? « Rainers Blog
[…] PIRATEN und das Grundgesetz, mein Senf (Andi Popp, 2010-09-24) […]
2010-09-24 um 6:36 am
ArgelebAndreas
Beginnt jetzt endlich die Wertediskussion innerhalb der Piratenpartei, die ich bereits seit einiger Zeit einfordere?
Die Frage ist doch gar nicht, ob wir Artikel 6 GG erhalten wollen oder nicht. Die Frage ist doch, wie wir uns gesellschaftlich positionieren.
Mein Vorschlag war ja, dass wir uns mal näher mit dem evolutionärem Humanismus auseinandersetzen sollten (http://argeleb.wordpress.com/2010/05/01/piraten-partei-des-evolutionaren-humanismus/)
Ohne eine klare Positionierung wird jede Debatte irgendwie ziellos geführt werden, weil wir keinen Konsens haben, wie unsere grobe Richtschnur aussieht.
Erst wenn wir einen Wertekonsens haben, kann man abschätzen, wie die Piratenpartei zu Fragen steht, die sie noch nicht explizit im Programm erwähnt hat. Momentan ist die Partei nämlich eine Blackbox, bei der man (also der Wähler) nicht genau weiß, woran man ist.
2010-09-24 um 6:46 am
etz_B
Ich stimme Dir ausdrücklich zu, dass die Verteidigung des Grundgesetzes keine wortgenaue, sondern eine sinngetreue – vielleicht sogar eine ziel- und zweckgetreue sein muss.
Gerade für Art. 6 GG gilt das. In den vierziger Jahren war die gesellschaftliche Situation in vielfältiger Weise anders als heute. Die Versorgungsehe war vorherrschend, denn eine Berufstätigkeit der Frau als Lebensziel war die Ausnahme. Die Berufstätigkeit von Frauen in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde als aus der Not geboren und vorübergehend verstanden. Unter solchen gesellschaftlichen Verhältnissen hatte die Ehe eben auch eine zu schützende Rolle für die Versorgung der Ehefrau. Das ist heute entscheidend anders. Die Berufstätigkeit der Frau hat sich längst zum eigenen Lebens-Wert entwickelt.
Die Ehe ist daher – aus sich selbst heraus – der früheren Versorgungsaufgabe entkleidet. Das Zusammenleben von Menschen wird – so jedenfalls würde ich das verstehen wollen – zum familiären Zusammenleben, wenn die zusammenlebenden Menschen eine Versorgungs- und Pflege-Aufgabe übernehmen: im Rahmen der Fürsorge für eine nachwachsende Generation, im Rahmen der Fürsorge für Menschen, die unabhängig von ihrem Alter der Betreuung und Pflege bedürfen. Ein selbstbestimmter Familienzusammenhalt setzt dann genealogische Verwandtschaft nicht mehr voraus, sondern kann auch die freigewählte Verantwortung für einen in den Familienzusammenhang aufgenommenen Menschen umfassen.
Diese Sichtweise ist in der Diskussion über die in verschiedenen Instanzen von LiquidFeedback gleichzeitig beratenen Initiativen zu diesem Thema angesprochen worden. Sie scheint mir auch die einzig vernünftige. Sie folgt im übrigen einer Debatte, die bereits in den 1970er und 80er Jahren gesellschaftsweit geführt wurde.
2010-09-24 um 7:14 am
Die Fronten bei §6 GG « Lossos Blog
[…] Ich möchte euch an dieser Stelle auch den Blog von Andi Popp empfehlen, da er zu dem Thema auch ein, wie ich finde, guten Beitrag geschrieben hat. […]
2010-09-24 um 7:48 am
validom
@ArgelebAndreas:
Ja, wir sollten diese endlich führen! Dazu gibt es auch eine (von mir unterstützte) LQFB-Ini:
https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/1023.html
„Grundsätze: Politischer Standpunkt und Selbstverständnis“
2010-09-24 um 4:41 pm
ArgelebAndreas
Diese Initiative sagt jetzt allerdings wenig bis gar nichts zur ethischen Position der Piraten aus. Dass wir Piraten auf dem Fundament des Grundgesetzes und der Menschenrechte stehen, ist ein Allgemeinplatz.
Außerdem ist der Freiheitsbegriff ein bisschen zu diffus.
Aber die Diskussion sollten wir nicht unbedingt auf Andis Blog führen 😉
2010-09-25 um 12:11 pm
BurkhardHH
Sicherlich ist eine Diskussion über ein gemeinsames Werteverständnis überfällig, aber ausgerechnet *diese* Initiative ist als Basis leider völlig untauglich, weil sie am Werteverständnis aller mir bekannten Piraten so weit vorbei läuft, dass sie noch nicht mal als Diskussionsbasis taugt.
Schon der erste Satz mit positivem Bezug auf den Begriff „Naturrecht“ sollte bei allen nicht fanatisch-religiösen Zeitgenossen Brechreiz auslösen, und die nachgelieferte Verteidigung dieses Begriffs taugt allenfalls als Lehrbeispiel eines offensichtlichen Zirkelschlusses.
Ansonsten passt die Initiative einfach nur in die anderen Initiativen desselben Autors, der gerne ausschweifende „Grundsatzkonzepte“ um den Kerngedanken herumschwafelt, die Piratenpartei solle eine marktradikale Partei jenseits der FDP sein, in der Hoffnung dass die Leute das nicht merken und irgendwann mal so einem U-Boot-Antrag zustimmen.
2010-09-24 um 8:45 am
YoungSocialist
Ahoi,
ich würde allen Piraten, die Art. 6 I GG, dn Schutz der Ehe abschaffen wollen, das lesen von Art. 19 II GG nahelegen, denn darin steht etwas über den unantastbaren Wesensgehalt eines Grundrechts 😉
Gegen eine Gleichstellung andere Lebensgemeinschaften habe ich aber nix.
Bis dann
YoungSocialist (auch bei Twitter)
Yacine Ghoggal
2010-09-24 um 11:06 am
crackpille
Bloß dass Art. 19 II GG nicht für die Abschaffung von Grundrechten gilt, sondern für ihre Einschränkung. Bis auf die in Art. 1 und 20 GG festgelegten Grundsätze kann der verfassungsgebende Gesetzgeber alles verändern.
Und dar Sourverän kann sich mit einer neuen Verfassung auch darüber hinwegsetzen.
Ist jetzt ne juristische Spitzfindigkeit, aber es ist immer ein wenig gruselig, wenn sich jemand einen Satz oder so aus einer Norm herausgreift ohne zu wissen, in welchem Kontext im Gesamtgefüge sie steht.
2010-09-24 um 10:15 am
Michael
Das Beispiel zeigt doch auch sehr gut, wie populistisch Liquid Feedback eigentlich ist. Spontane Geistesergüsse werden eingestellt und aktionistisch für toll befunden. Dann schließen sich hunderte mob-artig an und denken gar nicht weiter nach. Die eigentlich nötige Diskussion findet nicht statt, sondern muss dann hinterher mühselig in Blogs nachgeholt werden, vieles muss richtig gestellt werden, Streits müssen beigelegt werden.
Nicht die Ideen der Piraten, sondern Liquid Feedback ist das Problem. Dieses System fördert gerade zu die Abkehr vom „erst ausführlich diskustieren, evtl noch evaluieren und dann gemeinsam entscheiden“. Das demokratisch Wesentliche – die Diskussion – wird ausgeklammert. Das kann einfach nicht gut gehen.
2010-09-24 um 4:50 pm
korbinian
sehe ich anders: gerade diese inititiative im liquid feedback hatte zur folge dass aufgrunddessen nun viel grundlegender über unsere werte diskutiert wird. ich empfinde das als uneingeschränkt positiv. dass wir bisher nur bruchstückhaft unsere positionen erarbeiten ist kein problem von liquid feedback, sondern ganz generell dem fehlen einer gemeinsamen ideologie oder welt- und gesellschaftsbildes geschuldet. was wir bisher versucht haben war aufgrund von forderungen hinter denen alle piraten stehen eine postrationalisierung zu betreiben. das gelingt nicht immer und wirft oft sogar widersprüche auf, die kaum vereinbar scheinen. das sieht man hier an der frage was grundgesetz bewahren eigentlich bedeutet genauso schön wie an dem streit wo privates aufhört und öffentliches anfängt. diese diskussionen müssen geführt werden!
2010-09-24 um 11:16 am
crackpille
Genau! Eine Leitlinie, anhand derer wir vorgehen können, habe ich generell in Grundsätzliches über das Grundgesetzaufgezeigt. Und anhand dessen eine rationale, fundierte piratige Position und Argumentation für diese Diskussion über Ehe und Art. 6 GG erarbeitet.
2010-09-25 um 2:17 am
Tweets that mention PIRATEN und das Grundgesetz, mein Senf « Andis Blog -- Topsy.com
[…] This post was mentioned on Twitter by Sebastian Bartsch, korbinian polk, Cristian, P-Mond Exquisit, Piraten-Mond and others. Piraten-Mond said: Andis Blog – Andreas Popp : PIRATEN und das Grundgesetz, mein Senf http://is.gd/fq3U4 […]
2010-09-30 um 10:04 am
Aktuelle innerparteiliche Debatten « Piraten Watchblog
[…] PIRATEN und das Grundgesetz, mein Senf In den letzten Tagen durchzieht eine Debatte die Piratenpartei, die bereits aus der Partei herausschwabbt. Auslöser war eine recht erfolgreiche Liquid-Feedback-Initiative, welche die Abschaffung des Schutzes der Ehe in Art. 6 GG fordert. “Es ist doch nur ein Meinungsbild.” Die Debatte um den Umgang der Partei mit LiquidFeedback hat in der Diskussion um die Unterstüzung der AntiAKW-Demo am letzten Samstag einen neuen Höhepunkt erreicht. Streitpunkt ist die Wertigkeit von Meinungsbildern im Allgemeinen und im speziellen im LiquidFeedback-System der Piratenpartei. Gefordert werden explizite Entscheidungsprozesse und Zuständigkeiten, Urabstimmungen und Parteitagsbeschlüsse. Liquid Feedback – Der PM Anti-Atom-Demo Fail Am 15.09.10 rief die Piratenpartei Deutschland zur Anti-Atom-Demo auf, [Piratenpartei ruft zur Anti-Atom-Demo auf!] welche am 18. September um 12 Uhr in Berlin stattfindet. Diese PM zog aber etliche Beschwerden nach sich, was war passiert? […]