Thomas de Maizière (Bild: CC-BY Tobias Krecht)

Da hat unser Innenminister ja einen schönen Kniff ausgegraben. Thomas de Maizière will unbedingt eine neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung bzw. „Mindestspeicherfrist“ [1], wie man neuerdings auch sagt. Doch den Vorwurf der staatlichen Datensammelwut weist er strikt von sich? Die Begründung dafür ist so simpel wie stupide: Private Unternehmen sammeln doch mehr persönliche Daten als der Staat.

Zum ersten ist dies nicht ganz falsch. Google ist ja der Prototyp des fleißigen Datensammlers, auch wenn man der Fairness halber sagen muss, dass jeder Google seine Daten mehr oder weniger freiwillig gibt. Auch eine Form von informationeller Selbstbestimmung? Nehmen wir also lieber Facebook, die sind meiner Meinung nach wirklich die schlimmste Datenkrake, die frei rumläuft.

Dass bei der Datensammelei privater Unternehmen einiges im argen liegt, kann und will ich auch gar nicht verneinen. Dennoch kann es nicht sein, dass ein Missstand angeführt wird um einen anderen zu legitimieren. Und aus dem selben Grund ist es auch eine unverschämte Doppelzüngigkeit, wenn die selben Politiker, die Überwachungsgesetze propagieren, sich im nächsten Moment über Facebook aufregen oder die Telekom kritisieren, wenn die nicht in der Lage ist für die Sicherheit ihrer Kundendaten zu sorgen. Das sind reine Nebelkerzen, die vom eigenen Überwachungswahn ablenken sollen.

Dennoch muss man gestehen, dass der Vergleich zwischen dem Staat und privaten Unternehmen hinkt. Auch wenn die Handlungsweise ähnlich und auch in beiden Fällen zu verdammen ist, gibt es doch einen gewaltigen Unterschied zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Facebook. Der Staat hat nämlich ein paar besondere Privilegien, die Privatpersonen und damit auch Privatunternehmen nicht haben, unter anderem das Gewaltmonopol. Wenn Facebook über die Stränge schlägt, dann kann mich die Staatsgewalt beschützen, aber wer beschützt mich wenn die Staatsgewalt über die Stränge schlägt? Aus diesem Grund ist die informationelle Selbstbestimmung eben auch ein klassisches Abwehrrecht gegen den Staat, auch wenn der Innenminster gerne anders hätte. Es wurde sogar vom Bundesverfassungsgericht im berühmten Volkszählungsurteil gegen eine staatliche Maßnahme formuliert und nicht etwa gegen Facebook.

Natürlich hat der Staat auch die Aufgabe für Recht und Ordnung zu sorgen, keine Frage. Keiner verlangt die Unantastbarkeit durch die Strafverfolgung. Aber der Staat muss die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren. Dies bedeutet insbesondere, dass niemand auch nur Teile seines Lebens pauschal auf eine eventuelle Strafverfolgung ausrichten lassen muss.

Und hier hinkt der Vergleich zwischen Auto-Kennzeichen und IP-Adresse im oben verlinkten Interview schon mal gewaltig. Zum einen ist die Gefahrensituation eine komplett andere. Ein Auto ist ein potentielle Waffe. Bereits ein Masse von einer Tonne hat bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h eine Ernegie von 16,2 MJ. Damit kann ich so einiges über den Haufen fahren. „Das Internet“ kann dagegen nur eine zusätzliche Komponente zu einer Handlung hinzufügen, die eigentlichen Straftaten, werden aber in der physischen Welt begangen.

Entscheidender ist aber noch viel mehr, dass die IP-Adresse von ihrer Natur her komplett anders ist als ein Nummernschild. Sie ist nämlich eine technische Information, die zur Steuerung der Datenpakete benötigt wird. Das heißt, dass sie an jedem Punkt im Netzwerk, an dem das Paket vorbei kommt, verarbeitet wird. Das wäre also vergleichbar damit, dass das Nummernschild jedes Fahrzeugs an jeder Kreuzung erfasst wird. Aber zum Glück hat das Bundesverfassungsgericht schon die anhaltlose Überwachung einzelner Verkehrsabschnitte für rechtswidrig erklärt.

Das einzige wo die beiden Informationen ähnlich sind, ist in ihrer Unzulänglichkeit für Ermittlungen. Denn das Nummernschild führt eben auch nur bis zum Halter, wie die IP-Adresse typischerweise nur zum Anschlussinhaber (wenn überhaupt) führt.

Tatsächlich ist die physische Welt bereits viel „rechtsfreier“ als die virtuelle. Dies sieht man auch in diesem Beispiel sehr gut. Während selbst im Straßenverkehr Radfahrer und Fußgänger völlig ohne Nummernschild herumfahren und -lauf, braucht jeder Rechner eine IP-Adresse, egal ob an einer DSL- oder ISDN-Leitung. Doch während man im Straßenverkehr sich typischerweise im öffentlichen Raum befindet, so hat das Internet sowohl eine öffentliche, als auch eine private Komponente.

Diese ganzen konkurrienden Rechte führen natürlich dazu, dass der Staat bei der Strafverfolgung auf Ermittlungen angewiesen ist. So muss ein Beamter bei einer Fahrerflucht Zeugen befragen, ob sich jemand das Nummernschild gemerkt hat, wie er auch bei der Spurensuche im Netz mit den Hinweisen arbeiten muss, die vorhanden sind. Klar wäre es toll für die Strafverfolgung, wenn man bei jeder gemeldeten Straftat bloß die Täterermittlung.exe ausführen muss und der Bösewicht kommt fertig verschnürt in der Zelle an. Aber die Strafverfolgung ist eben zum Glück nicht oberster Sinn unserer Gesellschaft. Und aus diesem Grund ist die Vorratsdatenspeicherung als ganzes immer noch genauso abzulehnen wie zuvor, auch wenn de Maizière Google vorschiebt.

[1] Da die „Mindestspeicherfrist“ nur Neusprech ist, werde ich den Begriff allerdings nicht weiter verwenden.

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