Folgender Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Stephan Urbach

Die Piratenpartei ist krank. Eigentlich ist es wohl eine Kinderkrankheit, aber eine die man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Was genau läuft schief? Unterziehen wir den Patienten einer durchgehenden Untersuchung.

Symptom 1: Die Aktivität

Letzten Sommer vor der Bundestagswahl war wohl der bisher aktivste Punkt der PIRATEN. Das haben Parteien grundsätzlich so an sich, aber es verursacht derzeit für uns ein paar unerwartete Probleme.

Zum einen fehlen uns schlicht und ergreifend Kapazitäten um alle Baustellen zu beackern, die wir beackern müssten. Zum andern fehlt aber auch Personal um die Stellen von Funktionären zu besetzen und das heißt nicht nur der jeweiligen Vorstände.

Gerade im Bundesvorstand fehlen derzeit einige Helfer, die letzten Sommer noch da waren. Die Gründe sind vielfältig. Einige haben andere Verantwortungen innerhalb der Partei übernommen, etwa indem sie ein Vorstandsamt inne haben. Andere wiederum haben persönliche Veränderungen durchgemacht, sind beruflich stärker eingebunden oder wurden auch aus verschiedensten Gründen vom Bundesvorstand entlassen.

Dieser andauernde Personalwechsel führt schon seit längerer Zeit immer wieder zu Problemen, weil die Kommuniktation dadurch ins Stocken geräht. Ein aktueller Fall ist hier ein gutes Beispiel. Ich konnte in der Zwischenzeit in Erfahrung bringen, dass Jens Seipenbusch nicht bekannt war zum Online-Gipfel eingeladen worden zu sein. Die Vermutung ist nun, dass es wohl durch einen damals sehr aktiven Helfer des Bundesvorstands angeleiert wurde, von dem wir uns unter hier nicht näher auszubreitenden Umständen getrennt hatten und die Information dort versickert ist.

Symptom 2: Der Bundesvorstand

Auch den Bundesvorstand hat das Fieber erreicht. Dort funktioniert derzeit nicht mehr viel. Ein Grund sind auf jeden Fall Vertrauensprobleme zwischen den Vorstandsmitgliedern. Aber auch die allgemeine Unruhe in der Partei spiegelt sich im Bundesvorstand wieder.

So herrscht im Bundesvorstand klar Uneinigkeit darüber, wie dieser sich bei parteiinternen Debatten, wie z.B. über das BGE positionieren soll. Eventuell ist es auch so, dass einige Teilnehmer des Parteitags die Vorstände nach diesen Interessen gewählt haben. In gewisser Weise kann man das nachvollziehen, aber Konflikte in der Arbeit des Bundesvorstands sind dann unausweichlich, insbesondere wenn Personen, die eigentlich für den Vorsitz kandidieren – einem Posten mit klarer Führungsambition – auf den Organisationsposten – sprich den Beisitzern – landen.

So oder so führt es dazu, dass der Bundesvorstand effektiv aneinander vorbei arbeitet und auch aneinander vorbei Impulse in die Partei abgibt. Dies führt dazu, dass eigentlich notwendige Vorstandsarbeit liegen bleibt oder gar dass einige Vorstandsmitglieder resignieren. Dies macht dann nicht mal vor dem Vorsitzenden halt.

Die Diagnose: Schwere Zerreißprobe

Jetzt haben wir die Symptome gesehen, aber was ist die Diagnose? Warum werden viele Leute inaktiv? Warum wird im Bundesvorstand gegeneinander gearbeitet?

Der Grund ist, dass es innerhalb der Partei viele verschiedene Vorstellungen gibt, wie es mit dieser weiter gehen soll. Die gab es schon immer, aber die Intensität mit der hier aneinander gezerrt wird ist gestiegen.

Ein Beispiel ist Liquid Feedback. Während ich mich früher darauf gefreut hatte, ein Tool zu bekommen, mit dem man gut in einer großen Gruppe zusammenarbeiten kann, sieht die Realtität ganz anders aus. So scheinen einige damit das Ziel zu verfolgen in möglichst kurzer Zeit möglichst viele politische Positionen durchzustimmen. Da dies aber den natürlichen parteiinternen Diskurs einfach überspringt, löst dies Konflikt aus, erst recht wenn der Bundesvorstand dazu Beschlüsse fasst.

Bei den Parteitagen ist es das selbe Problem. Manche messen den Erfolg des Parteitags in behandelten Anträgen. Aber auch hier gilt: Es macht nicht die Masse, sondern die Klasse der Anträge aus. Und die Klasse bemisst sich nur wenig in Schreibstil oder inhaltliche Ausgefeiltheit, sondern vor allem darin, wieviele der Entscheidungsträger (sprich Mitglieder) mit der Sache bereits vor der Entscheidung vertraut sind.

Die Intensität sorgt wiederum dafür, dass tiefgehende Diskussion nicht möglich sind. Wegen den vielen verschiedenen Enden an denen gerzerrt wird, hat keiner mehr die Übersicht und man rennt im Prinzip nur von einem aufgerissenen Hosenboden zum nächsten um den zu flicken.

Behandlung 1: Eine neue Form des Miteinanders – Der parteiinterne Pluralismus

Wie kann unsere Piratenpartei also wieder gesunden? Die erste Behandlung ist gleichzeitig die wichtigste. Bisher ist es so, dass wir alle hinter den Themen stehen, welche die Piraten auszeichnen. Bei anderen Themen gibt es in der Partei aber bei weitem keine solch klaren Verhältnisse.

Eine Mehrheitsentscheidung kann dazu führen, dass man die Verhältnisse innerhalb der Partei erfassen kann, aber sie führt auch dazu, dass es plötzlich Mehrheitsmeinungen und Minderheitsmeinungen in der Partei gibt. Unser Ziel kann es aber auch nicht sein, dass alle austreten die irgendwo eine andere Meinung haben.

Aus diesem Grund müssen wir lernen andere Meinungen zu respektieren und damit umzugehen. Personen die Mindermeinung vertreten dürfen auch nicht zur Mehrheitsmeinung gezwungen werden. Ausführlich ist dieses Thema in einem anderen Artikel behandelt.

Behandlung 2: Bezahlte Stellen schaffen und getrennte Wahlgänge zum Vorstand

Wir müssen uns auf lange Sicht davon verabschieden, alles in der Partei in ehrenamtlicher Arbeit erledigen zu können. Auch wenn Vorstände wechseln, muss eine gewissen Kontinuität in der Organisation sein.

Der Anfang muss hierbei natürlich auf Bundeseben gemacht werden, auch im Bundesvorstand. Vielleicht ist es sinnvoll in klassischer Manier den (politischen) Vorstand von der (fest angestellten) Geschäftsführung zu trennen. Ein erster Schritt wäre ein fester Vorstandssekretär, der zwar nicht die Arbeit des Vorstands übernehmen soll, aber dennoch zumindest für den Erhalt des Informationsflusses sorgen könnte.

Auf jeden Fall müssen wir wieder dazu über gehen, dass für die Organisationsposten im Vorstand Personen gewält werden, die eine Ambition für einen solchen Posten haben. Wir brauchen halt auch Bereichsmanager und nicht nur Schattenvorsitzende. Dazu ist es unerlässlich, dass die Beisitzerposten zumindest getrennt gewählt, wenn nicht gar wieder fest benannt werden.

Behandlung 3: Strategische Programmarbeit und erforschen unserer Werte

Wie es mit der programmatischen Entwicklung voran geht ist für viele Piraten sicher noch die entscheidende Frage. Dieser Weg kann aber nicht mit dem Stil einer Fließband-Massenfertigung abgehalten werden.

Selbst wenn wir viele Programmpunkte niederschreiben, ist damit überhaupt nichts gewonnen, wenn wir keine Strukturen haben, die diese Programmatik in die Öffentlichkeit tragen. Und wenn Parteitage weiterhin mit hunderten von Anträgen zugeschüttet werden, kann man niemals qualitative Arbeit leisten. Unser Credo ist, dass jedermann in allen programmatischen Angelegenheiten mitreden darf, dann müssen wir aber auch dafür Sorge tragen, dass dieser „jedermann“ nicht zu sehr überfordert wird mitzuhalten.

Statt dessen sollten sich die Organe – und da nehm ich den Bundesparteitag explizit nicht aus – in kleinen Schritten an die Aufgabe herantasten, damit mundgerechte Stücke entstehen. Dazu müssen klare Schwerpunkte in der programmatischen Weiterentwicklung gesetzt werden. Auf diese Weise können sich die Mitglieder, Organe und Gliederungen darauf einstellen und ihre eigene programmatische Arbeit aufeinander abstimmen.

Dabei ist auch zu beachten, dass man keinen Schritt vor dem anderen tut. Zur Strategie kann zum Beispiel auch eine Roadmap gehören, mit welcher der Weg der programmatischen Arbeit grob vorgezeichnet wird. Dieser Weg sollte am besten dort beginnen wo wir stehen, also bei unseren Kernthemen.

Einen ersten Versuch startete der Bundesvorstand mit der Strategie-Kommission Justiz. Ob dies das richtige Format ist wird sich zeigen, aber um strategisches Denken werden wir nicht herum kommen.

Das Entlassungsschreiben

Es liegt also an uns allen unseren Patienten wieder fit zu kriegen. Auch wenn die Medikamente anschlagen, werden noch Nachuntersuchungen fällig werden. So oder so danke ich, dass man vielleicht auch den ein oder anderen Schritt aufeinander zugehen muss und lernen sollte nicht nur nebeneinander sondern miteinander zu arbeiten. Hoffen wir das beste.

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