Als ich 2007 den PIRATEN beigetreten bin, hätte ich niemals gedacht, dass ich für meine politische Arbeit Pseudo-Journalismus auf RTL2 anschauen würde. Dennoch habe ich mir gestern abend die Folgen 2 bis 4 von „Tatort Internet“ angesehen und ich muss sagen, die Motive der Macher werden immer klarer. Sämtliche Befürchtungen haben sich im Endeffekt bestätigt.
Was die juristischen Forderungen angeht bin ich jetzt schon etwas schlauer, nachdem ich einen Artikel in der Legal Tribune gelesen habe. Was die politische Seite angeht, da hat Tatort Internet ziemlich schnell seine hässliche Fratze gezeigt. Vier Folgen, vier Gesichter, das komplette Gruselkabinett der Netzfeinde wird in „Tatort Internet“ seine Propaganda los: Stephanie zu Guttenberg, Jörg Ziercke, Cecilia Malmström und Thomas de Mazière. Die Forderungen sind Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung, alles untermalt mit reißerisch dargestellten Horrorgeschichten mit Blaufiltern und vorgeführten schluchzenden Opfern.
Auch die Tabuisierung von jugendlicher Sexualität, wie ich sie hier im Blog bereits einmal beschrieben hatte, lauert in den neuen Folgen überall. Frau Krafft-Schöning nennt mehrmals explizit 14-jährige, also Jugendliche. Wie selbstherrlich diese Frau und ihre Sendung ist, sieht man an dem Fall mit der Gruppe von Vertrauenslehrern. Speziell ausgebildete pädagogische Fachkräfte äußern in einem Fachgespräch fachliche Kritik an der Vorgehensweise von Krafft-Schöning und was sagt der Sprecher aus dem Off?
Trotzdem stellen sich einige von ihnen schützend vor die Täter.
Also ganz ehrlich: Es ist schon schlimm genug, wenn man uns vorwirft wir würden auf der Seite der Täter stehen. Aber selbst die Fachleute, die man in die Sendung eingebunden hat, in diese „Bist du nicht für uns, bist du gegen uns“-Schublade zu stecken, schlägt dem Fass doch mal echt den Boden aus. Ich würde gerne mal wissen, was die gefilmten Pädagogen dazu sagen.
Den absoluten Abschuss leistete sich allerdings der Herr Bundesinnenminister:
Überall wo es Freiheit gibt, gibt es Kriminalität. Wo es viel Freiheit gibt – wie im Internet – gibt es viel Kriminalität.
Dazu kam noch eine rethorisch geschickte Verpackung des „rechtsfreien Raumes“. Halten wir das also mal fest: Der Innenminister eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates erklärt uns im Fernsehen, dass es eine direkte Korrelation zwischen Freiheit und Kriminalität gibt. Die Konnotation ist natürlich, dass man Freiheit einschränken muss um Krimimalität einzuschränken. Hätte er es in einer Zeitung geschrieben, könnten wir wörtlich sagen: Da haben wir es schwarz auf weiß.
PS: Alle Zitate mussten dank der Internet-Sendezeiten von RTL2 aus dem Kopf zitiert werden und sind deshalb nicht wörtlich zu verstehen.
11 Kommentare
2010-10-21 um 1:32 pm
Tweets that mention Tatort Internet: Die Motive werden immer klarer « Andis Blog -- Topsy.com
[…] This post was mentioned on Twitter by Sebastian Bartsch, dori doreau, Nitek, Cherubim, B. A. and others. B. A. said: RT @AndiPopp: Tatort Internet: Die Motive werden immer klarer: http://wp.me/pzNnf-hz […]
2010-10-21 um 4:14 pm
Bob
„Auch die Tabuisierung von jugendlicher Sexualität, wie ich sie hier im Blog bereits einmal beschrieben hatte, lauert in den neuen Folgen überall.“
Tut mir leid, ich unterstelle dir wirklich nicht, dass du dich vor die Täter stellst. Aber es ist schon klar, dass das die vorgeschobenen Argumente eben der Täter sind: Jugendliche (ab 14, oder 13 1/2 oder naja…12 3/4, wirkt ja schon sehr reif) haben ein Recht auf Sexualität, natürlich einvernehmlich…
Mir wird echt schlecht, wenn ich sowas lese. Vor allem sind es doch oft DIE Kinder, die man sich aussucht, die einen Entwicklungsrückstand von ein paar Jahren haben und psychisch, innerlich Kind sind, auch wenn sie 14 sind und irgend jemand 14 in eine Gesetz geschrieben hat.
In der einen Sendung hat der Herr doch allen Ernstes geglaubt, dass der 13-jährige (gespielt von einem 18-jährigen) noch nie ein Kondom gesehen hat und hat sich auf das Schäferstündchen gefreut. Wäre das, wenn es passiert wäre, dann auch jugendliche Sexualität? Er zeigt ihm mal wie es geht oder wie, ist ja einvernehmlich und bald 14.
Mal im Ernst: Muss es einem da nicht schlecht werden? Oder vestehe ich wieder alles falsch und muss alles ganz nüchtern betrachten? Manman.
2010-10-21 um 5:55 pm
Andi
Der Typ von dem du sprichst hatte natürlich einen ziemlichen Vollschuss. Da brauchen wir gar nicht drüber reden.
Und ja, genau: Du musst es nüchtern betrachten. Nach deutschem Recht gibt es eine sexuelle Mündigkeit (sog. „soziales Schutzalter“) mit 14 Jahren. Der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen, bedarf aber genauerer Untersuchung als das was die Leute von „Tatort Internet“ machen.
2010-10-21 um 4:40 pm
Bob
Zum Thema Tabuisierung von jugendlicher Sexualität:
Bei Wikipedia mal „Sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ eingeben:
„Schließlich werden in Absatz 3 sexuelle Handlungen von Erwachsenen ab 21 Jahren mit Jugendlichen unter 16 Jahren unter Strafe gestellt, wenn der Erwachsene dabei eine „fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt“. Die „fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung“ kann nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht allein aus dem Alter des Jugendlichen abgeleitet werden, sondern muss im Einzelfall festgestellt werden.“
2010-10-21 um 5:34 pm
Andi
Joa, eine kaum benutzte Vorschrift. Wenn man schon die Wikipedia anführen will, dann such doch mal unter „Schutzalter“. Da ist das ziemlich gut aufgeklärt.
2010-10-21 um 6:16 pm
michaeleriksson
Der Abschuss des Bundesinnenminsters kann man aber auch anders formulieren—mit völlig anderen Schlussfolgerungen:
Wo jede Möglichkeit der Kriminalität ausgeschlossen wird, dort kann es keine Freihet geben.
2010-10-21 um 8:44 pm
Bob
jaaa.. ok, Freiheit ist vielleicht das wichtigste Gut, was wir haben, ich seh´s ja ein, trotzdem reg ich mich über diese ganze Pressehetze auf, sollen die mal so viel berichten, wenn´s um wirklichen Kinderschutz geht oder hier was Produktives leisten, anstatt sich über diese dämliche Sendung aufzuregen, dann ist man doch auch nicht besser, die Sendung hetzt gegen das böse gefährliche Internet, die Presse gegen die böse Guttenberg. Ist doch auch nicht besser. Außerdem bringt´s nur Einschaltquoten.
Übrigens gab´s das mit derselben „Ermittlerin“ vor ein paar Jahren schon mal in so einem ARD-Filmchen. Vielleicht muss ich akzeptieren, dass manches erlaubt ist, was aus meiner Sicht kriminell ist. Schutzalter hin oder her, ein 50-jähriger hat sich nicht an eine 13/14-jährige ranzumachen, 15 ist genauso krank. Dann bin ich halt nicht nüchtern. So, das war das Wort zum Freitag.
2010-10-30 um 8:41 am
Geht auch nicht
@Bob: Das darf der 50 Jährige auch nach heutigem Recht nicht!
2010-10-22 um 7:13 am
Tatort Internet: Kinderschänder aufhängen! « Darimunds Blog
[…] Falls diese Serie noch mehr Intentionen hat, außer Geld zu scheffeln und Sensations-“Journalismus“ zu betreiben, dann wirklich nur, ein Klima zu schaffen, um endlich das Internet unter staatliche Kontrolle zu bringen und mal wieder die Netzsperren und die Datenspeicherung durchzusetzen. […]
2010-10-31 um 4:35 pm
Caroline Kaiser
Die komplette Rechtslage könnt ihr u.a. bei uns nachlesen.
Einfach oben die Webseite anklicken.
Ich finde das Schutzalter von 14 für Mädchen sogar mittlerweile bis zu 2 Jahre zu hoch.
Man muß ja bedenken, daß das 14er Schutzalter seit 1975 nicht mehr angepasst wurde. Für die damalige Zeit war es mir zu niedrig, aber die Pubertät hat sich in den letzten 35 Jahren um im Schnitt 3 Jahre vorverlagert. Für Jungs finde ich es ok, weil die ja den Mädels ohnehin in der Entwicklung 2 Jahre hinterher hinken.
Das Schutzalter wird – auch hier wieder – oft falsch verstanden.
Mitnichten bedeutet es, daß die 14-17jährigen deshalb, wie Schöning behauptet, „Freiwild“ wären. Denn Jugendliche sind durch diverse andere § besonders geschützt, z.B. im § 182er. Der ist leider recht unkonkret formuliert, im Gegensatz zu den ähnlichen Gesetzen im dänischen oder niederländischen Strafrecht vor der Reform 2003.
Das Schutzalter soll nicht für einen Querschnitt der Bevölkerung gelten, es ist auch kein Durchschnittswert, aber auch nicht für absolute Einzelfälle, z.B. sehr frühreife 11jährige Mädchen.
Es soll für eine relevante Gruppe gelten, so begründete dies damals der sozialdemokratische JM Gerhard Jahn, der 1973 eine Kommission einsetzte, die das Sexualstrafrecht reformierte. Im Gespräch war damals sogar eine Absenkung auf 13, oder aber auch eine Erhöhung auf 15.
Als Vorlage diente das 15jährige sex. Mündigkeitsalter in DK.
Weil das deutsche Recht aber schon vorher mit 14 eine Trennung von der Kindheit zur Jugendlichkeit hatte, hat man es bei 14 belassen.
Dies hat rechtlich vieles vereinfacht. Ansonsten hätte man 14jährige Jugendliche gehabt, die nicht die vollen Rechte wie über 15jährige Jugendliche gehabt hätten.
In den NL lag das Schutzalter bis Herbst 2002 sogar nur bei 12, für Jungs war mir dies zu niedrig, für Mädchen fand ich es noch vertretbar.
Was dort in der Sendung gezeigt wird, da müssen wir nicht groß drüber diskutieren, die Typen sind krank. Sie wollen den Mädchen Alkohol einflößen und halten 18jährige für 13jährige, oder bringen gleich Sexspielzeug mit.
Aber jetzt alles auf den Altersunterschied zu reduzieren finde ich falsch.
Es gibt auch ältere Mädchen und junge Frauen, die sich mehr für ältere Männer interessieren, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Aber mit Sicherheit nicht für solche Typen wie in der TV Sendung. ( Hoffe ich zumindest )
Dort wird alles bewußt durcheinandergewürfelt, einmal spricht Krafft- Schöning von einem „17jährigen Kind“, dann von einem „19jährigen Jugendlichen“. Dann schnauzt sie einen der Internetfritzen an, er solle sich nicht mit “ 13, 14, 15 jährigen Kindern treffen „. Ab 14 ist es aber legal. Auch die Rechtslage wird in der Sendung bewußt falsch dargestellt,
die Anbahnung von Kontakten zu Kindern unter 14, die sex. Absichten haben, ist bereits im § 172er strafbar. Die ständig gebetsmühlenartig wiederholte Forderung, hier doch „endlich“ die § zu ändern, ist überflüssig. Dies wurde bereits von der rot/grünen Regierung verschärft.
Die Absichten von Innocence in Danger sind klar, eine bessere Kontrolle des Internets durch Sperren. Die sind leicht zu umgehen, außerdem wird KP eh kaum auf Webseiten angeboten, sondern in konspirativen Tauschzirkeln. Websperren wären da noch wirkungsloser als sie ohnehin schon sind. Aber auch das Löschen ist keine Universallösung, denn alle Inhalte können ja jederzeit wieder auf einer anderen Seite ins Netz gestellt werden.
Innocence in Danger fordert eine weltweite 18er Schutzaltersgrenze. Dies haben sie auch schon bei der EU vorgetragen.
Damit „Sextäter“ nicht „Rechtslücken“ ausnutzen können, ist die offizielle Begründung.
Nur wozu würde dies konkret führen:
Dann würde sich selbst der 18jährige, oder meinetwegen auch 40jährige, der mit seiner 17jährigen Freundin schläft, sich wegen „Kindsmissbrauch“ strafbar machen, denn die UN definiert ja alle unter 18jährigen jetzt als Kinder.
Innocence in Danger u.a. Hardliner drängen darauf, diese weltweite Definition auch in nationales Recht umzusetzen.
Welche Folgen dies hat, wenn ein 18jähriger Erwachsener Sex mit seiner 17jährigen Freundin hat („Kind“), kann sich ja jeder selbst ausmalen.
Schon die im Herbst 08 erfolgte Umsetzung der letzten EU Richtlinie ist absurd, so wird jetzt selbst der Vertrieb von Pornocomics (!) mit Jugendlichen (!) unter Strafe gestellt. Gehts noch ?
2010-10-31 um 4:46 pm
Caroline Kaiser
Nicht § 172 ( der ist es in DK früher gewesen ), sondern in D der § 176:
( Komme manchmal mit den vielen Paragraphen durcheinander, weil ich ständig zwischen den diversen europ. Strafgesetzen hin- und herschalten muß )
Hier wird es auch noch einmal genau erklärt:
http://www.telemedicus.info/article/1880-Kommentar-Harrich-liegt-falsch.html