Der Verlauf der Causa Guttenberg ist an Schaudern kaum zu überbieten. Ein Bundesminister, der nachweislich bei seiner Dissertation abgeschrieben und betrogen hat, kommt damit durch, dass er von handwerklichen Fehlern spricht und den Titel zurückgibt. Die unrühmlichste Rolle spielt dabei die Universität Bayreuth, die brav bei Fuß gelaufen ist und die Vorgabe von Minister und Kanzlerin umgesetzt hat – keine Prüfung der Täuschungsabsicht, obwohl die ziemlich schnell und einfach gewesen wäre und laut Promotionsordnung auch erforderlich (dazu später mehr). Besagte Kanzlerin spielt in diesem Kontext auch eine faszinierende Rolle. Damit meine ich jetzt nicht, dass sie auch promoviert ist und eigentlich selbst in Rage über Guttenbergs Betrug sein sollte. Viel faszinierender war ihr Versuch, den Politiker Guttenberg vom Wissenschaftler Guttenberg zu trennen, sie habe ja keinen Wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt. Doch dieser Versuch musste fehlschlagen. Und damit meine ich auch gar nicht, dass Guttenberg seinen Brief an die Uni Bayreuth auf Ministeriumspapier geschrieben hat, sondern, dass es ein verbindendes Element in der Sache gibt: die persönliche Glaubwürdigkeit.
Fangen wir zuerst in der Wissenschaft an. Diese entzieht sich gerne dem Versuch zu definieren, was sie eigentlich ist, aber wir tun es jetzt trotzdem. Die Wissenschaft ist die Suche nach Erkenntnissen durch Forschung und die Verbreitung dieser Erkenntnisse durch Lehre. Forschung bedeutet immer, dass man das Bekannte verlässt und ins Unbekannte vorstößt. Dabei zieht man schon mal falsche Schlüsse. Wer erinnert sich nicht daran, dass jahrelang unschuldigen Kindern Spinat eingetrichtert wurde, weil man dachte, er hätte soviel Eisen? Man sagt einen Rechenfehler nach, aber das ist wohl auch eher eine Urban Legend. Auch wenn das jetzt noch harmlos war, können falsche wissenschaftliche Erkenntnisse durchaus ernstzunehmende Folgen haben, z.B. wenn gestützt auf wissenschaftliche Ergebnisse sog. »Killerspiel« verboten werden. Vor allem aber, kann der Aufbau auf falsche Ergebnisse jahrelange Forschung darauf zunichtemachen.
Die Wissenschaft versucht dem Ganzen mit akademischer Selbstkontrolle Herr zu werden. Beim »Peer Review« kontrollieren sich die Forscher gegenseitig und das klappt meistens auch. Dennoch ist diese grundlegende Problematik mit ausschlaggebend für den hohen Wert der Glaubwürdigkeit in der Wissenschaft. Man bringt jemanden das Grundvertrauen mit, dass er nach bestem Wissen und Gewissen seiner Forschung nachgegangen ist. Genauso hat jeder Doktorand das Recht auf ein vertrauliches Verhältnis. Wir müssen als Wissenschaftler mal ehrlich sein: eine ausführliche Plagiatsprüfung in jeder Arbeit ist einfach nicht machbar, man ist da auf Zufallstreffer angewiesen. Vielleicht gehen dadurch viele Betrüger durchs Netz, aber die die erwischt werden, werden mit Schimpf und Schande vom akademischen Hof gejagt. Wer noch eine Abschiebe-Stelle kriegt, weil er verbeamtet ist, kann sich glücklich schätzen. Einem Doktoranden muss man da also auch vertrauen können. Wenn eine Fakultät da nur ein Ehrenwort statt eine Eidesstaatliche Erklärung verlangt, ist das Vertrauen um so höher, der Wortbruch umso schändlicher.
Ich ziehe ja immer gerne Parallelen zwischen Wissenschaft und Politik, also sehen wir uns jetzt zweiteres an. Auch ein Politiker braucht Vertrauen. Genauso wie ein Wissenschaftler so tief in einem Forschungsvorhaben steckt, dass ihm kaum einer folgen kann, muss sich auch ein Politiker sehr stark in seine Arbeit reinknien. Wenn die gesamte Bevölkerung stets über alle Dinge den totalen Überblick hätte, dann bräuchten wir keine Volksvertreter, sondern könnten alles direkt abstimmen. So muss ich mich jetzt aber darauf verlassen, dass Guttenberg bei seiner Wehrreform gewissenhaft gerechnet hat und mich auf seine Angaben verlassen können. Er könnte mir beliebige Zahlen nennen und ich kann sie nur schwer überprüfen. Deswegen muss ich ihm Vertrauen können, selbst wenn er mir nicht politisch nahe steht. Sonst muss ich mich immer fragen: Hat er es gewissenhaft gemacht? Hat er wirklich Ahnung von dem was er da sagt oder hat er es sich von jemand anderem unterjubeln lassen? Lügt er, weil er eine versteckte Agenda hat?
Karl-Theoodor zu Guttenberg, hat schamlos abgekupfert. Damit hat er seinen Doktorvater, seine Universität und schlussendlich jeden einzelnen von uns, der ihn schon einmal mit »Doktor« tituliert hat, belogen. Wenn er jetzt auch noch behauptet, dass er es nicht absichtlich getan hat, obwohl die Fakten ihn schon längst überführt haben, dann lügt er bereits ein zweites Mal. Dass der Großteil der Bevölkerung noch hinter ihm steht, mag der Tatsache geschuldet sein, dass die meisten die Dimension nicht verstehen oder es grenzt bereits an den Glauben an den Messias. Das jemand sich alles erlauben kann und trotzdem noch im Amt bleibt, kennt man in Europa bisher eigentlich nur von Berlusconi.
PS: Die meisten dieser Gedanken stammen von einem Mittagsgespräch mit einem auf ehrliche weise fast fertig promovierten Kollegen, der hier aber nicht namentlich genannt werden will. Wir wollen mal in diesem Zusammenhang ausnahmsweise mal überkorrekt sein 🙂
1 Kommentar
2011-02-25 um 7:26 pm
Jens
„Damit hat er seinen Doktorvater, seine Universität und schlussendlich jeden einzelnen von uns, der ihn schon einmal mit »Doktor« tituliert hat, belogen. “
Ob er seinen Doktorvater belogen hat, oder ob der nicht vielleicht ein gutes Stück selbst mit schuld ist, wäre zu prüfen.
Ein summa cum laude gibt es doch nicht für die ehrenwörtliche Versicherung des Kandidaten, dass die Arbeit ein summa cum laude wert ist.