Gestern abend fand ich in meinen Feedreader einen sehr interessanten Podcast. Der Tag von hr2 titelte »Parteien ohne Programm. Sind sie noch zu retten?« Anfangs geht es darin zum Großteil um die derzeitigen Umbrüche in der FDP. Danach folgen sehr interessante Abhandlungen über das Verhältnis von Parteien und Programmen. Die einzige Partei die dabei recht gut weg kommt sind die Grünen. Warum die Grünen? Es wird auf eine Sache zurückgeführt: Die tief im programmatischen und historischen Kern der Grünen verankerte Ablehnung der Atomenergie.
Bei den anderen Parteien wird das klare Fehlen der Programmatik offenbart. Gerade bei den Volksparteien – die ich dank dem Podcast jetzt immer mit dem viel passenderen, wissenschaftlich korrekten Namen als »Catch-All-Parteien« bezeichnen werde – gibt es eigentlich kein Programm, sondern eine »weichgespülte Programmwolke«. Die Catch-All-Parteien, die sich langsam aber stetig auf dem absteigenden Ast befinden, sind also keine Ein-Themen-Parteien, sie sind Kein-Themen-Parteien. Sie haben keine echten politischen Ziele außer Machterhalt und Machtgewinn.
Die Piratenpartei muss sich ja schon länger den Vorwurf anhören, sie wäre eine Ein-Themen-Partei (ich möchte betonen, dass wir wenn dann mindestens eine Fünf-Themen-Partei sind), was nicht zuletzt auch die Volli-Kerni-Debatte beflügelt hat. Die letzten Wahlen und der Podcast haben mich wiederum zum Denken angeregt und ich kam zu dem Schluss, dass die Piratenpartei mit ihrer bisherigen politischen Linie mehr als zukunftsfähig ist. Die Ein-Themen-Partei der Grünen erntet nun mit Baden-Württemberg das, was sie seit 30 Jahren gesät hat. Dieser Erfolg sei ihnen vergönnt. Umso mehr sollten wir als Piraten unsere Kernkompetenz pflegen und ausbauen. Das klare politische Projekt, den Umbruch in die Digitale Gesellschaft so zu gestalten, dass die Chancen genutzt werden und die Bürgerlichen Freiheiten dabei erhalten oder sogar ausgebaut werden, ist genau was die politische Landschaft braucht.
Ich empfehle allen diesen äußert spannenden Podcast nachzuhören, sei es beim Joggen im Park oder am Rechner im Keller. Er kann gerade für uns Piraten sehr aufschlussreich sein.
9 Kommentare
2011-04-06 um 10:49 am
lelith
das bestätigt den eindruck den ich schon lange habe. die „grossen parteien“ haben zwar allesamt einen gewissen ruf was ihre poltik angeht, aber eigentlich steht kein festes fundament darunter.
hakt man genauer nach bekommt man dort linguistisch erprobte antworten die keinerlei ernsthafte aussage haben. dort sagt niemand ja oder nein. es ist immer ein jein, vielleicht, mal sehen usw. man hält sich alle optionen offen, bezieht zu nichts klar stellung. gab es da nicht so ein schönes zitat? „was interessiert mich mein geschwätz von gestern“?
that’s it liebe leute. lieber klare linie in wenigen wichtigen punkten zeigen als zu allem ne halbgare meinung zu haben.
2011-04-06 um 11:20 am
Matthias Heppner
Im Großen und Ganzen stimme ich dir zu, jedoch darf man nicht übersehen, dass auch die Grünen keine Ein-Themen Partei sind. Die Grünen sind zwar vor allen Dingen für ihre Kernthemen bekannt (z.B. Anti-Atom-Bewegung), jedoch würden die Grünen niemals solch hohe Werte erreichen, wenn diese kein Sozial-, Wirtschafts-, Finanz-, etc.. Programm hätten.
Mit anderen Worten. Man assoziiert auch in den anderen Nicht-Kernbereichen der Grünen eine „grüne“ Politik. Und „grüne“ Politik wird anders als noch vor einigen Jahren nicht mehr mit utpischen, unrealisierbaren Konzepten verknüpft, sondern mit sozialer Gerechtigkeit (z.B. Einheitsschule), toleranter multikultureller Gesellschaft, etc..
Genau dieses Schmea wird die Piratenpartei wohl auch einnehmen. Unser Kernbereich wird immer die politische Gestaltung der digitalen Gesellschaft bleiben. Daneben wird sich jedoch immer weiter herauskristallisieren, was in den anderen Politikbereichen als „piratig“ gilt. Hier denke ich z.B. dass übergeordnet Freiheit, Dezentralisierung, Bürgerbeteiligung, Gewaltenteilung und Soziale Sicherheit (z.B. BGE) die Begriffe sein werden, die später mal als „piratig“ assoziiert werden und diese Saat uns später dann ebenfalls genau die Prozente bei den Wählern bescheren werden, auf die die Grünen heute bauen können.
Gruß,
Matthias
2011-04-06 um 12:29 pm
Andi
Man kann sowas als netten Zusatz machen, solange man seine politische Identität hält. Hätte die Leute Angst, dass die Grünen Atomkraftwerke bauen würden, damit sie die Einheitsschule durchbekommen, dann hätten sie sie sicher nicht gewählt.
2011-04-07 um 5:32 pm
derda
Dazu müsste bei den „piratigen“ Themen aber mal richtig was passieren. Urheberrecht, Informationsfreiheit, Bürgerrecht – wo läuft denn da richtig was? Die anderen Parteien schlafen nicht und es wird ziemlich peinlich für uns sein, wenn die uns bei „unseren“ Themen ausstechen.
Wir machen irgendwie den dritten Schritt vor dem zweiten.
2011-04-06 um 6:40 pm
suchenwi
Typos: „gesäht“, „emfpehle“.. vielleicht bin ich altmodisch, aber ein Typo in einem inhaltlich sehr guten Text lenkt mich immer ab, trägt mich aus der Kurve sozusagen :^/
2011-04-07 um 12:12 pm
Andi
Ausgebessert. Danke.
2011-04-07 um 6:44 am
YoungSocialist
Servus Andi,
ich sehe das ein wenig anders als du. Selbstverständlich haben die Volksparteien ein wolkigeres Fundament, da sie möglichst viele Leute mitnehmen und vor allen Dingen auch viele Leute behalten wollen.
Gerade Volksparteien vereinen eine riesige Anzahl unterschiedlicher Meinungen. Das Problem, was die Piraten beim Aufbau eines erweiterten Programmes haben, haben die Volksparteien grundsätzlich. Sie müssen in großen Teilen einen Konsens zwischen yllen Seiten erzielen. Sie müssen sich, im Gegensatz zu den Piraten auch für einen Konsens entscheiden und können nicht einfach ja/nein sagen, da von ihnen, mehr als von den Piraten, ein Vollprogramm erwartet wird.
Das ist aber auch grundsätzlich ein Problem für die innerparteiliche Demokratie. Fragt man einen SPDler zu einer Position, kommt laut dir, immer wieder ein jein. Was soll man aber auch anderes sagen, wenn man Entscheidungen nicht vorwegnehmen möchte, oder wenn man einfach einen Konsens gefunden hat, der nicht in Radikalopposition oder in einer vollen Zustimmung mündet.
Klar, viele Politiker haben sich beigebracht, mit vielen Worten nichts zu sagen, um keinesfalls auf eine Aussage festgenagelt werden zu können, na und? Spätestens bei den Abstimmungen im Bundestag erkennt man dann meist ein eindeutiges ja oder nein zu einem Konzept. Hat die Fraktion zudem noch ein eigenes Kinzept eingebracht, ist dies oft konkreter, als was die Piraten sagen. Regiert die Partei, wird einiges sogar ganz konkret zum Gesetz.
Jetzt sagst du, das Fundament ist wolkig, beliebig, aber was ist wolkig?
Ist es nicht auch eine wolkige Formulierung, für Bürgerrechte einzutreten? Das Recht auf Leben, das Recht auf Sicherheit, beides Bürgerrechte, für die sich Piraten weniger stark machen. Stehen die Piraten für Freiheit? Was ist Freiheit, auch so ein wolkiger Begriff. Bedeutet Freiheit, dass alle machen dürfen, was sie wollen, solange man niemand anders in der Freiheit beeinträchtigt, frei nach Kant? Dann müsste man aber das Kartellamt abschaffen, denn niemand muss z.B. die Produkte eines Monopolisten kaufen, oder? Genauso wie die Piraten eine recht wolkige Vorstellung von ihren Themengebieten haben und nicht umfassend wissen, was sie in dem Bereich wollen, so ist es auch bei der SPD.
Die SPD will soziale Gerechtigkeit. Was ist sozial? Was ist gerecht? Sozial ist, was Arbeit schafft, sagen die Bürgerlichen. Gerecht ist, jedem die selbe Chance zu geben, sagt die SPD. Ist das alles? Der Raum, was soziale Gerechtigkeit ist, wird immer wieder mit neuen Werten aufgefüllt, vielleicht wirkt das beliebig, aber es ist nur der Einfluss des Zeitgeistes in die Werte der Partei und die undemokratische Form in der Entscheidungen getroffen werden, dafür verantwortlich.
Man könnte also sagen, die SPD ist eine Einthemenpartei, sie steht für soziale Gerechtigkeit, alles andere ist Beiwerk oder folgt daraus. Man kann aber nicht sagen, dass eine Volkspartei, nur weil sie ein weites wolkiges Themenspektrum hat, eine Keinthemenpartei ist, denn vollendet konkret ist ein Programm erst, wenn es in Gesetzesform ausgearbeitet ist und soweit ich weiß, ist bei den Piraten nix so konkret ausgearbeitet, außer die Position gegen ein Gesetz.
Bis dann
YoungSocialist
Yacine Ghoggal
2011-04-07 um 1:49 pm
SchwarzerPirat
Die Volksparteien haben den Themen übergeordnete Leitlinien, z.B. Konservativ, Liberal und Christlich-sozial bei der Union. Dieser Kompass hilft zu jedem Thema eine ausgewogene Position zu finden. Ich persönlich habe lieber einen klaren Kompass in der Politik als eine einseitige Themenfixierung.
Bin mal gespannt was die ganzen themenfixierten Grünenwähler in B-W sagen, wenn die Grünen neben Anti-Atom und Anti-S21 anfangen ihre Dafür-Inhalte umzusetzen. Mal sehn, ob das noch alles in den Kompass der Wähler passt.
2011-04-10 um 4:38 pm
Fisch mensch
Was? Sogar die grünen sind jetzt auf einmal gegen atomkraft?