Das Wochenende war für mich ein Lehrstück in Sachen Kommunikation. Nach dem letzten Blogeintrag, den Sylvi und ich gemeinsam geschrieben hatten, tobte der Shitstorm. Nun weiß ich ja lange genug, dass das Niveau der Streitkultur auch auf Blogs und Mailinglisten manchmal nur 2 Clicks über 4chan liegt und will auch gar nicht so tun, als hätte ich Trollerei – gerade bei einem solch streitbaren Thema – nicht erwartet.
So gab es innerhalb und außerhalb des Blogs die übliche Palette: Nazi-Vergleiche, Angriffe auf unsere Person, lange Kommentare zu ganz anderen Sachverhalten. Mehrfach wurden uns Aussagen unterstellt, die wir so gar nicht getätigt haben (z.B. wir würden die Foto-Love-Story gut finden). Überhaupt hatte ich den Eindruck es wurde mehr drüber diskutiert was wir nicht schrieben, denn darüber was wir schrieben. In den Kommentaren fand sich teilweise ein Niveau, mit dem sich in meinen Augen niemand mit Ruhm bekleckert hat, weder die Pro- noch die Contra-Seite. Faszinierend fand ich dennoch zwei Dinge: Die Anzahl der destruktiven Kommentare war ungemein hoch und selbst Menschen, die mir bisher als besonders sachlich bekannt waren, waren darunter[1].
Da stellt sich für mich nun die Frage: Gibt es Themen, die im Netz nicht diskutierbar sind? Zu meinen World-of-Warcraft-Zeiten hatte ich im dortigen Forum ähnliche Erfahrungen mit bestimmten Themen (z.B. Veganismus), aber bisher hatte ich den Eindruck, dass man auch bei Themen, die Feministen für sich beanspruchen, noch gehaltvoll streiten kann.
Bisher hatte ich immer den Anspruch, solche Sachverhalte differenziert (d.h. unter konkret eingegrenzten Annahmen) zu argumentieren und meine Gedankengänge sauber darzustellen. Dies gelingt natürlich nicht immer (vielleicht auch nie, ich weiß es nicht, ich lese meine Artikel ja nur aus der Autorenperspektive). Aber wenn wir mit dem aktuellen Post nicht ganz versagt haben, dann lässt dies nur den Schluss zu, dass wir es hier mit einer Debatte zu tun haben, die bereits Eskalationsstufen erreicht hat, wo sachliche Diskussion als solche versagt (so ungefähr Stufe 4 dieses Cartoons).
Es könnte also der Fall sein, dass hier bereits sehr tiefe Gräben und »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich«-Denken vorherrschen. Vielleicht erwartet ein Diskussionsteilnehmer gar keine sachlichen Argumente mehr und interpretiert alles was an Kritik kommt als direkten Angriff. Einige brechen dann die Diskussion mit den Worten »Die XYZ sind da, jetzt brauchen wir gar nicht mehr diskutieren« ab. Wenn dann selbst diejenigen, die sonst zu konstruktivem Streit fähig sind, selbigen verweigern, dann wird die Debatte sinnlos.
Jetzt stellt sich die Frage: Gibt es solche Themen? Wenn ja, sind feministische Thesen ein solches Thema? Kann ein Ziel wie »darüber zu diskutieren, wie wir einen modernen Feminismus gestalten«, wie es sich etwa die Mädchenmannschaft setzt, überhaupt noch funktionieren, wenn Kritikern per se mit Wut und Diffamierung begegnet wird?
Ich weiß, die Fragestellung ist so alt wie das Usenet, aber anscheinend immer noch aktuell. Das Ganze hier ist nicht als feste Meinung zu verstehen, sondern als ein Gedanke der mir aktuell (mal wieder) durch den Kopf geht. Ich würde mich über Kommentare freuen, aber bitte zum Inhalt dieses Posts und in einem brauchbaren Ton.
- [1]an dieser Stelle nochmal Dank an Arte Povera, die trotz aller Anspannung mal wieder wie ein Fels in der Brandung sehr konstruktive Gegenargumente gebracht hat
20 Kommentare
2011-08-01 um 5:42 pm
Kyra Anisimov
Hi,
es gibt Themen, wie Feminismus, Religion, sind Piraten auf dem linken Auge blind, Pädophile die kann man kaum ohne starke Emotionen diskutieren. Das kenne ich aus dem Dicken Engel und da hilft nur Moderation. Wobei so in Blog ist ja schön still…da kann keiner Brüllen 🙂
Ich habe mich damit abgefunden, über manche Dinge kann man sprechen, muss aber mit solchen Reaktionen rechnen. Die soziale Kompetenz bei den Piraten ist nicht ausgeprägt. Und es wird auch häufig nur auf einen Teilaspekt einer Argumentation eingegangen um die dann zu bashen. Selten geht jemand differenziert auf einen Gesamtinhalt ein. Das liegt mMn. auch daran, dass zusammenhängende Texte nicht mehr als solches gelesen werden können. Sie werden nur als Häppchen aufgenommen und entsprechend ohne Zusammenhang beantwortet. Man merkt sich einen Reizsatz und haut dann auf den ein. Die Intention des Themas geht verloren.
Grüße
Kyra
2011-08-01 um 5:45 pm
Pat Valio Mächler
Ich hoffe mal, dass meine Kommentar auch zu den Sachlicheren gehörte 😉
Das grösste Problem, dass ich mit eurem Beitrag hatte war halt, dass er sich gegen Ende in eine grosse Reihe anderer Beiträge eingereiht hat in dem von „dem Feminismus“ oder „den Feministinnen“ verallgemeinert gesprochen wird. Das Problem ist nicht, dass ich ein Problem mit Kritik an feministischen Thesen hätte – ich würde viele davon auch nicht unterschreiben – sondern, dass hier eine Verallgemeinerung gemacht wird, die nicht argumentativ untermauert wird und auch nicht sinnvoll rezipiert werden kann, da sie selbst gar nichts rezipiert, sondern einfach mal als Tatsache dargestellt wird. Es lassen sich sicher Beispiele für und gegen die Positionen finden. Die Indiferenz beginnt bei denjenigen die sich meines Erachtens nicht die Mühe gemacht haben erstmal Argumente dafür zu finden um ihre Position zu stützen. Wenn dies eine Ausnahme wäre, wäre das ja nicht weiter ärgerlich, aber das Frustrierende ist, dass es halt eben keine Ausnahme darstellt, sondern immer wieder von neuem beginnen kann und die Leute auf jedes einzelne Gegenargument hinweisen muss, weil sie Feminismus einfach wieder mal in einen Topf werfen, obwohl es z.T. bereits sehr tiefe Gräben gibt in dem was als „Feminismus“ bezeichnet wird 😉
Vielleicht wäre dieser Blogeintrag dann manchmal hilfreich http://finallyfeminism101.wordpress.com/2007/08/12/faq-some-feminist-saiddid-something-offensivestupidcrazyevil-so-isnt-feminism-a-failure/
Eines der grössten Probleme, dass ich halt in Gleichstellung sehe ist, dass die meisten Menschen – weil sie geschlechtlich sind – intuitiv annehmen, dass allein dieser Umstand schon dazu führt, dass sie sich eingehend mit Geschlecht befasst hätten und wüssten was richtig oder falsch im Bereich Gleichstellung wäre, obschon sie diesen Schluss auf rein subjektive Erfahrungen zurückführt und gar nicht danach fragen ob sich denn eine wirklich eine kritisch-reflektierte bzw. „objektive“ Betrachtung ist.
2011-08-01 um 6:48 pm
Pat Valio Mächler
bah…ich muss mir wieder einen Browser mit deutscher Rechtsschreibeprüfung zulegen; ist ja echt schlimm was ich da verbrochen hab’…
2011-08-01 um 7:45 pm
Emmy
Ich habe auf der Webseite mit genanntem Blogbeitrag lediglich über die Suchfunktion im Browser nach „Piratenweib“ gesucht. Die diversen Fundstellen waren bereits Grund genug, die Seite umgehend ohne Lektüre wieder zu schliessen. Erfahrungswerte… 😉
2011-08-02 um 8:30 am
Andi
Ernst gemeinte Frage: „Erfahrungswerte“ mit einer bestimmten Person hindern dich daran, an einer Diskussion teilzunehmen?
2011-08-01 um 11:17 pm
Isopod
Diskussionen werden nach meiner Erfahrung häufig dann unsachlich, wenn es um tief verankerte Ideologien geht. Religion ist so ein Thema, Politik teilweise auch. Feminismus ist eine Ideologie, die in unserer Gesellschaft quasi als „Norm“ gilt, man wird von klein auf darauf geprägt. Wenn dann jemand kommt, der die bereits verinnerlichten, feministischen Prinzipien in Frage stellt, wird oft reflexartig abgewehrt.
Ich muss aber sagen, dass ich euren Macho-Abschnitt auch daneben fand. „Weiß wohl jeder“ und „Geschlechterstereotypen würden einige sagen, Realität sagen wir“ sind einfach keine sachlichen Argumente. Wer sowas schreibt, darf sich nicht wundern, wenn er unsachliche Reaktionen bekommt.
In der Grundaussage, dass „Opfer-Feminismus“ kontraproduktiv ist, stimme ich euch zu, aber da hätte man besser (und sachlicher) argumentieren können.
2011-08-02 um 8:29 am
Andi
Ja, das hab ich auch gemerkt. Bei dem einen Abschnitt haben wir wohl zu sehr provoziert und einen Nebenkriegsschauplatz aufgemacht. Das Argument hätte ein anderes sein sollen: Wäre Machoverhalten in Beziehungen ein Problem, wenn Frauen die Machos links liegen lassen würden?
2011-08-02 um 2:29 am
BurkhardHH
Vielleicht sind alle anderen Schuld daran, dass bei „bestimmten Themen kein Streit mehr möglich ist“. Vielleicht war euer Blogbeitrag auch einfach nur schlecht und wurde dem Eigenanspruch „Differenziertes Denken“ in keiner Weise gerecht.
2011-08-02 um 8:29 am
Andi
Das war ja die Frage
2011-08-02 um 2:39 pm
Name (notwendig)
Wer bzw. was hat denn Deiner Meinung nach den Shitstorm ausgelöst? Diejenigen, die euch kritisierten oder so charmante Kerlchen wie „Frauenhaus“ und „Postgender“?
2011-08-02 um 2:50 pm
Andi
Ich hatte eher den Eindruck, dass beiden Seiten von Anfang an in diesem Modus waren. EDIT: Wobei ich bei Frauenhaus immer noch an eine schlechte Hardcore-Satire glaube, Begriffe wie „Überraschungserotik“ kann kein denkender Mensch ernst meinen.
2011-08-03 um 10:23 am
Name (notwendig)
Ob das tatsächlich als Satire bezeichnet werden kann, darüber lässt sich streiten (ich habe da eine andere Meinung). Aber kannst Du vielleicht verstehen, dass manche Menschen, vielleicht insbesondere Frauen, keine Lust haben, so ein abartiges Zeug zu lesen und sich deshalb aus der Diskussion verabschieden? Der Kommentar, den Du oben zitiertst („XYZ sind da“ usw.) bezieht sich ja konkret auf die Hasspostings und nicht auf andere, sachlich vorgetragene Meinungen.
2011-08-03 um 10:24 am
Name (notwendig)
Mist, kannst Du bitte einmal Name und Mail tauschen? Danke.
2011-08-03 um 11:19 am
Andi
done
2011-08-05 um 8:45 am
Name (notwendig)
Danke.
2011-08-03 um 11:21 am
Andi
Ich sag ja, schlechte Satire ^^ Wenn es übrigens Satire ist, dann wäre es ja gerade die andere Seite, die er verballhornt, nicht die Frauen/Feminisiten.
Aber sind denn Trolle in Diskussionen etwas, was die Leute dazu bewegt ihre Diskussion mit anderen aufzugeben? Dem könnte man entsprechend natürlich mit Moderation entgegen wirken, was wiederum die Gefahr beinhaltet von manchen negativ aufgenommen zu werden (und damit mein ich nicht nur die „ZENSUR“-Schreihälse)
2011-08-05 um 8:44 am
Name (notwendig)
Aber sind denn Trolle in Diskussionen etwas, was die Leute dazu bewegt ihre Diskussion mit anderen aufzugeben?
Also bei so einem sensiblen Thema wie sexueller Gewalt ist das imho auf jeden Fall so. Ich würde nicht löschen, aber vielleicht Kommentare ausblenden und mit „vorsicht, menschenverachtender Müll“ kennzeichnen. Dann kann sich jeder und jede selbst überlegen, das anzuklicken.
Also nochmal zu Deinem Thema: Ich denke, feministische Themen (oder auch „feministische Themen“) können durchaus sachlich diskutiert werden. Nur ist es jedenfalls im Internet so, dass solche Themen überproportional viele Hasspostings auslösen (vergleichbar mit Integrationsdiskussionen oder Themen wie Homöopathie, Atheismus, global warming). Das macht die Diskussion m.E. so schwierig.
2011-08-08 um 1:43 pm
Warum ich Julia Schramm schätze und warum mir ihr Geheule trotzdem auf die Nerven geht « Andis Blog
[…] jüngste Erlebnis dieser Art ist etwa mehr als eine Woche her. Ganz mit vorn dabei im Shitstorm-Mob war damals […]
2011-08-08 um 3:24 pm
Scea
Mich hat am meisten gestört, dass sich die Diskussion eigentlich hauptsächlich mit der Opferfrage beschäftigte. Vergewaltigung Ja oder Nein ist doch völlig nebensächlich, wenn man es als Diskussionsgrundlage hinnimmt, dass das Verhalten des Jungen nicht in Frage gestellt wird. Es wird nur gesagt, dass der Kerl die Situation „schamlos ausnutzt habe“ bzw. sich den Sex „erschleicht“. Und das wird als gegeben hingenommen.
Hallo? Ist unser Moralempfinden schon so weit abgesunken, dass wir uns über so etwas keine Gedanken mehr machen, es gar nicht mehr in Frage stellen? Wo ist der Gentleman geblieben, der die Frau nach Hause bringt und dann „unverrichteter Dinge“ wieder geht?
Mich wundert es ehrlich gesagt nicht, dass eine (mehr oder weniger sachliche) Diskussion auf so einer Grundlage nicht mehr möglich ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es vielen Diskussionsteilnehmern gar nicht aufgefallen ist, dass sie durch diese Grundannahme von vornherein einen emotionale(re)n Standpunkt eingenommen haben – und dann kochen die Gemüter bekanntlich leicht über.
2011-08-11 um 10:39 am
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