Eine Welle der Solidarität rollt durch die Piratenpartei, Solidarität mit Julia Schramm. Die hat mit einem Artikel in der Flaschenpost einen Shitstorm losgetreten und sich über diesen beschwert. Doch diese Solidaritätsbekundungen helfen gar nichts. Es folgt ein kleiner Gedankengang zu Shitstorms und inhaltichen Diskussion in der Piratenpartei.
Wer seine Meinung sagt, riskiert mitunter Gegenwind. Gerade im Internet kann man schnell einen Shitstorm lostreten, wenn man nicht mit der Mehrheit schwimmt. Sachliche Argumente werden nicht mehr gehört, man wird geflamed, beleidigt, persönlich angegriffen und die »Gegenseite« kümmert sich mehr darum einen selbst als dumm hinzustellen, als sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen. Glaubt mir, ich kann ein Lied davon singen.
Das jüngste Erlebnis dieser Art ist etwa mehr als eine Woche her. Ganz mit vorn dabei im Shitstorm-Mob war damals übrigens niemand geringeres als Julia Schramm und einige derer, die jetzt groß die Solidarität mit ihr ausrufen. Sylvi und ich wurden nicht nur mit klassischen Schimpfworten belegt, uns wurden auf recht uncharmante Art gar die nötige Kompetenz abgesprochen um überhaupt das Thema diskutieren zu können. Letzteres trifft mich persönlich übrigens mehr als ersteres.
Vielleicht hat es in Julias Fall mal wieder jemand geschafft, die Messlatte nach unten zu legen, doch das grundlegende Problem bleibt das selbe. Ich komme mir vor wie mitten unter Menschen, die im Stau stehen und sich darüber aufregen, ohne festzustellen, dass sie selbst der Stau sind. Wenn jemand nicht einstecken will, sollte er vielleicht mal darüber nachdenken, ob er aufhören sollte auszuteilen. Wenn also alle, die jetzt gerade die Solidarität mit Julia ausrufen, sich einfach mal besinnen und vor ihrer eigenen Haustür kehren würden, dann wäre schon viel gewonnen.
Viel gewonnen? Warum eigentlich? Was könnte denn überhaupt der Grund für den Shitstorm gegen Julia gewesen sein? Wir erleben eigentlich fast täglich einen Shitstorm, wir alle haben diese Kunst schon fast perfektioniert. Mems wie #Friedrichfordert, #Modegeworden oder #Iminterngeboren machen Politiker persönlich lächerlich und sind alles andere als sachliche Diskussion.
Um ehrlich zu sein, bin ich bei einer Person wie Hans-Peter Uhl aber auch überhaupt nicht an sachlicher Diskussion interessiert. Der Mann ist von meiner Lebenswirklichkeit, meinen persönlichen Bedürfnissen und meiner Meinung weiter weg als Alpha Centauri von der Sonne. Ich kann nicht glauben, das hier eine konstruktive Diskussion möglich ist. Da beteilige ich mich lieber an einem Mem um die eigenen Reihen gegen diesen Freiheitsfeind zu festigen.
So ähnlich geht es vielleicht auch manchen bei Julias Meinung zum Datenschutz. Lieber will man die Gegner in der Piratenpartei zusammenziehen und gegen den gemeinsamen »Feind« einschwören, als sich auf eine subjektiv fruchtlose Diskussion einzulasen. Doch das ist ein entscheidender Fehler. Julia ist kein politischer Feind, sie ist eine Bereicherung für die Partei. Sicher, sie stellt sich in der Datenschutzfrage – einem unserer Kernthemen – öffentlich gegen die Parteimeinung. Das mag diskussionwürdig sein, aber das allein ist noch kein Grund sie als Person zu bekämpfen.
Wir werden dank der großzügigen Erweiterungen im Programm oft genug den Fall haben, dass einzelne gegenteiliger Meinung sind und dennoch müssen wir Pluralismus auch parteiintern pflegen. Denn eines möchte ich auch einmal klar sagen: Auch gegenteilige Meinungen sind eine Bereicherung für uns. Ja, auch ich finde den Großteil von dem was Julia schreibt naiv und weltfremd und würde mich ihrer Meinung nicht anschließen. Dennoch habe ich durch die Auseinandersetzung mit dieser Meinung meine eigene Position zum Datenschutz weiterentwickelt und dafür bin ich Julia dankbar.
Julia und die Spackeria beschreiben auch oft genug Probleme in der Datenschutzfrage, auf welche die Befürworter des klassischen Datenschutzes noch keine Antwort haben. Wir sollten dies als Herausforderung sehen uns weiterzuentwickeln, neue Ideen einzubringen und unsere Position zu verbessern. Diese Erwartung stellt man an uns als Partei, die Wähler tun das und auch wir selbst tun es. Wenn ihr Julias Thesen bekämpfen möchtet, tut euch keinen Zwang an. Doch wenn ihr es sinnvoll tun wollt, so tut es mit Sachverstand und Argumenten, nicht mit Beleidigungen.
10 Kommentare
2011-08-08 um 4:08 pm
am.dumitran
Ich gebe Deiner Meinung, ebenso wie der Stellungnahme der Flaschenpost recht. Ich verstehe diesen ganzen Shitstorm als Missverständnis dieser wütenden Ex-Wähler, namentlich Trolle.
Julia Schramm schrieb nicht gegen den Datenschutz, sondern über seine kontinuierliche Auflösung. Ihre Schlußfolgerung war auch nicht bürgerrechtsfeindlich, sondern im Gegenteil, ein Aufruf zum allgemeinen menschlichen Existenzrecht, dem ursprünglichen Gesellschaftsgrund.
Ich erkenne in ihrem Artikel keine Naivität, sondern eine besondere Neigung zur Aktualität. So wie die virtuelle Welt, als Spiegel unserer Gesellschaft, in ihrer Ausgestaltung in ihrer Öffnung, wie auch ihrer Schließung, individuell frei und vielfältig bleiben bzw. werden muss, so muss es auch (EIGENTLICH VOR ALLEM) der Ursprung dieses Spiegels, die Realgesellschaft individuell freier und vielfältiger Menschen!
Wie in aller Welt könnte dieser Hinweis verwerflich sein?
2011-08-09 um 8:10 am
Andi
Der Hinweis ist alles andere als verwerflich. Ich halte es dennoch naiv anzunehmen, wir können das Wegbröckeln des Datenschutzes einfach damit ersetzen, dass sich ab jetzt alle lieb haben.
2011-08-09 um 2:34 pm
am.dumitran
Abgesehen davon, dass die Vorstellung, Alle hätten sich schlagartig lieb, utopisch ist, und der Wunsch ihrer Realität somit tatsächlich als naiv zu bezeichnen wäre, enttäuscht es mich ein ganz klein wenig, dass Du Deine Antwort sarkastisch polemisierst (nachdem Du gerade zu mehr Sachlichkeit aufrufst). ‚Tschuldige bitte, dass ich so pienzig antworte, aber..
Ich würde meinen Punkt (und vielleicht auch den von Julia S.) gerne noch etwas klären, um ihn für sachliche aber einfache Kritik zu öffnen:
Mir erscheint der Begriff ‚post-privacy‘ generell irreführend, aufgrund seiner einseitigen Düsternis. Ich möchte ihn in ‚post-consistency‘ oder ‚post-hierarchy‘ umbenennen.
Jeder sollte das Recht haben, seine Privatsphäre selbst ausloten zu dürfen, zu jeder Zeit. Trotzdem ist es doch wünschenswert, dass Privatsphäre und Öffentlichkeit sich nicht unterscheiden, oder? Identität mal ganz wörtlich genommen. Jeder hat das Recht auf so viele Identitäten, wie nur irgendwie möglich, doch in Wahrheit ist das ja gar keine Frage des Rechts! Unaufhaltsame Wirklichkeit läßt sich nämlich gar nich erlauben bzw. verbieten.
Das Tollste is ja, dass alle Identitäten eines (lustigerweise so genannten) Individuums ja in einem Punkt identisch sind: Ihrer Identität! Und obendrein ist dieser Sachverhalt real und virtuell identisch!
(Ich schreibe hier übrigens keine Satire.)
So einfach wie möglich ausgedrückt: Ist es nicht wünschenswert, dass keiner einen Lebensbereich entblößen muss, wenn er/sie dies nicht möchte? Ja klar. Ist es aaber nicht ebenso wünschenswert, dass keiner sich in einem Lebensbereich für einen jeweiligen anderen entschuldigen bzw. schämen muss? Das wäre das Tollste überhaupt.
Dass man sich im Netz technisch nicht verstecken kann (und real vielleicht bald auch nur schwierig, und deswegen für Grundsätze individueller Selbstbestimmung streiten sollte, ist damit nur eine Seite, der Medaille. Eine Gesellschaft, in der diese (in Form allgemeiner Freiwilligkeit und lediglich notwendiger Gemeinschaftspflichten konstituiert) gleichwertig umgesetzt werden, anzustreben, erscheint mir aber ebenso grundlegend für diese individuelle Selbstbestimmung.
Nennt Ihr das nicht Liquidität? So stelle ich mir vor, dass sich Alle lieb haben.
ps. das Kommentar-Schreibfenster, scheint nicht für Schreibergüsse geschaffen zu sein. Die letzte Zeile verschwindet während des Schreibens am unteren Fensterrand. Jedes Mal wieder..
2011-08-08 um 4:54 pm
brushedthewrongway
Nochmal hier:
Ich habe mich an der Diskussion um den erwähnten Blogbeitrag beteiligt und auch Julias Beitrag dazu gelesen. Ja, das war harte Kritik und solche zu hören, ist nicht angenehm. Zwischen einem etwas schärferen Ton in einer Diskussion und massiven Beleidigungen sowie Drohungen ist aber ein himmelweiter Unterschied. Eine verletzte und verängstigte Reaktion auf so etwas als „Geheule“ zu bezeichnen, finde ich ziemlich anmaßend.
2011-08-09 um 8:09 am
Andi
Ich gebe dir vollkommen recht. Zwischen einem scharfen Diskussionston und Beleidigung liegt ein deutlicher Unterschied. Dennoch finde ich es schon etwas fragwürdig, wenn jemand selbst Beleidigungen austeilt und wenn dann (evtl. in anderem Kontext) welche zurückkommen auf die Tränendrüse drückt, um sich von irgendwelchen White Knights den Bauch pinseln zu lassen.
2011-08-09 um 6:02 pm
Boris Turovskiy
Andi, ich (als Troll) muss mich täglich Beleidigungen und Shitstorms aussetzen – das kennst du doch;) Dennoch ist es ein meilenweiter Unterschied zwischen einem Shitstorm und persönlichen Drohungen. Ich bin jederzeit dafür zu haben, Julias Meinung als Unfug und Schrott zu deklarieren, manche Methoden gehen aber gar nicht.
Grüße,
Boris
2011-08-09 um 7:09 pm
brushedthewrongway
Ich kann mich nicht an Beleidigungen von Julia erinnern. Als sie dir das Hintergrundwissen zum Thema abgesprochen hat, hat sie das ja nicht auf deine Person bezogen (also nach dem Motto „du bist zu dumm dafür“), sondern nur gesagt, dass sich das aus dem Text herauslesen lässt. Auch das ist zwar hart, aber trotzdem sachliche Kritik.
Die Kommentare gegenüber Julia gehen über das und auch über einen normalen „Shitstorm“ hinaus.
2011-08-11 um 10:32 am
privacy » nœver.is
[…] Warum ich Julia Schramm schätze und warum mir ihr Geheule trotzdem auf die Nerven geht von Andi Popp […]
2011-10-23 um 3:41 pm
Jürgen Nameerforderlich
Aufgrund eines Artikels bei Telepolis habe ich mir mal Julia Schramms Veröffentlichungen im Web angeguckt.
Ich konnte leider nichts von Relevanz finden.
Ich habe lediglich den EIndruck es ist gerade schick sich einer Szene wie den Piraten zugehörig zu fühlen. Egal ob man inhaltlich damit irgendwas anfangen kann.
2011-10-31 um 12:12 am
Rob Girlfriend
Die S-Klasse, das Egozentrum der Belanglosigkeit erschüttert zwei Blogs. Indes kommen Aluhüte so richtig in Mode. Sie schützen nicht nur vor der schlechten Aura von Parteifreundinnen oder Administratoren mit Existenzängsten sondern erweisen sich immer mehr als geradezu die Indoor-Kopfbedeckung des Vertrauens für den modebewussten Piraten.