Es ist schon faszinierend. Hans-Peter Uhl fordert jedes Mal, wenn eine alte Dame auf einer Bananenschale ausrutscht, die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Viel Zündstoff für Diskussion gab das nie her, eher für hemmungslosen Spott. Dafür schafft es ein anderer. Alvar Freude – einigen sicher bekannt als Herz und Hand des AK Zensur – muss als Buhmann für einen Musterantrag für den SPD-Parteitag herhalten, der die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung mit verringerter Laufzeit fordert. Dennoch ist dies nicht zuletzt sein eigener Verdienst, immerhin verteidigt er die Position vehement. Doch dabei vergisst er das grundlegende Problem.
Erst mal muss man Alvars Argumentation eines zugute halten. Bei der Vorratsdatenspeicherung werden mehrere Sachverhalte in einen Topf geworfen, die man auch differenziert betrachten kann. So spitzt sich der Konflikt – zuletzt auch beim Vorschlag der FDP – tatsächlich um die IP-Vorratsdatenspeicherung zu, also die Frage ob gespeichert werden darf, welcher Internetanschluss wann mit welcher IP-Adresse unterwegs war.
Alvar schreibt hierzu:
Nur bei IP-Adressen sehe ich es als sinnvoll an, zu einer Speicherzeit von etwa 80 Tagen wie vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung zurückzukehren. Die Behauptung, die Speicherung von IP-Adressen bei den Access-Providern wäre eine „präventive Totalüberwachung“ oder die „Überwachung des Kommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung“ ist schlicht falsch.
Dabei argumentiert er allerdings auf der völlig falschen Schiene weiter. Er zitiert das Verfassungsgericht, dass über die beschränkte Aussagefähigkeit von IP-Adressen spricht und sieht hier eine Abwägung zwischen dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und denen, die durch die Straftaten verletzt werden.
Alvar interpretiert das totale in der präventiven Totalüberwachung also als Totalität der Kommunikation, sprich die ganze Kommunikation wird überwacht. Selbiges sei mit der IP-VDS nicht möglich. Dem kann man grundsätzlich bereits widersprechen. Wenn man z.B. die Verkehrsdaten von Facebook und Google hätte (Staaten können da grundsätzlich recht leicht rankommen), weiß man sehr wohl zumindest schonmal wo der Anschluss so rumgesurft ist. Und das Anschlüsse typischerweise nur von einer Person benutzt werden, ist jetzt nicht so selten, man denke nur an Mobiltelefone.
Die Möglichkeit der Auflösung der IP-Adresse auf den Anschlussinhaber ist es, die uns überhaupt derzeit das Problem mit dem Datenschutz beschert. Wäre die IP-Adresse nicht auflösbar (technisch durchaus realisierbar), dann wäre diese kein persönliches Datum mehr und kann problemlos an Facebook übermittelt werden. Zumindest dieses Problem würde sich in Wohlgefallen auflösen.
Jetzt ist es aber so, dass die Kritik an der VDS als präventive Totalüberwachung primär gar nicht auf die Totalität der Kommunikation, sondern auf die Totalität der Menge der Überwachten abzielt, nämlich die Bevölkerung. Die Verkehrsdaten aller Anschlussinhaber werden gespeichert, vollkommen unanbhängig – und das ist das Entscheidende – von einem konkreten Tatverdacht.
Dies ist ein Paradigmenwechsel weg vom Rechtsstaat hin zum Präventionsstaat. Bisher galt jeder Bürger ist unverdächtig, bis ein konkreter Tatverdacht vorliegt. Mit der VDS werden Daten über Bürger ausschließlich zu dem Zweck gespeichert, sie bei einem eventuellen späteren Tatverdacht zu nutzen. Alle Bürger werden unter Generalverdacht gestellt. Ja, das Verfassungsgericht hat dies explizit zugelassen, aber das ist nicht gut, sondern eine katastrophale Fehlentscheidung, die zu einem Dammbruch führen kann.
Für Alvar sind Menschen, denen es hier um das Prinzip geht, jetzt anscheinend nicht besser als diejenigen, die gebetsmühlenartig vom rechtsfreien Raum sprechen. Das ist schade, denn das Prinzip des konkreten Tatverdachts (bei dem es sich ja ultimativ um die Unschuldsvermutung handelt) ist nichts, was man mal nebenbei über Bord werfen sollte – oder etwas was nur kurzzeitig in Mode war. Es ist ein lang anerkannter Grundstein unserer Freiheitsrechte. Die Erosion dieser Freiheitsrechte zu verhindern, auch die dünnsten Schnitte von der Salami zu verhindern, dass ist die Aufgabe von Bürgerrechtlern. Schade, dass Alvar sich anscheinend nicht als solcher sieht.
Abschließend kann ich allerdings tatsächlich nochmal ganz konkret werden. Denn Thomas Stadler und Alvar sind sich ziemlich einig über die Tatsache, dass die VDS nicht zur Bekämpfung von Schwerstkriminalität, sondern zur Bekämpfung von Alltagskrimininalität benutzt werden wird. Hier gilt immer noch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, was auch bedeutet, dass wenn es einfachere Mittel zur Bekämpfung gibt, diese vorrangig zu nutzen. Gegen Betrug hilft Aufklärung, gegen Online-Stalking hilft Privacy[1] und Beleidigungen gehören halt zum Netz wie der Alkohol zum Wein. Und die Aufklärungsquote ist da auch ohne VDS schon überdurchschnittlich. Schon allein aus diesem Grund ist die VDS abzulehnen.
Was Alvar angeht: Der Shitstorm gegen ihn ist übertrieben. Er ist seiner Meinung treu geblieben, das muss man ihm zugestehen. Dennoch muss er sich wiederum eingestehen, dass er eine exponierte Position hat, nicht zuletzt als Mitglied der EIDG. Viele Leute haben einfach Hoffnung in ihn gesteckt, dass er seine Position nutzt um eine klare bürgerrechtliche Linie zu vertreten. Darum sind sie auch von Alvar enttäuscht, nicht von Uhl.
- [1] Für alle die es nicht kennen, auch »Pre-Post-Privacy« genannt
1 Kommentar
2011-09-07 um 11:51 am
Bernhard
Kann ich so Unterschreiben bis auf den (technischen) Punkt mit den Mobiltelefonen, denn bei denen bekommen mehrere die gleiche IP und werden nur duch den Port unterschieden.
Aber sonst: Full ACK!