Es ist noch nicht so lange her, da sagte der CDU-Politiker Kauder seinen legendären Satz, der zum Meme werden sollte:
Es ist Mode geworden, die Freiheitsrechte des Bürgers in den Vordergrund zu stellen. Dabei vergisst man, dass der Bürger auch einen Anspruch auf Sicherheit – auf innere Sicherheit – hat.
Über den faktischen Aussagegehalt zu den Freiheitsrechten haben wir uns damals schon in mehrfacher Hinsicht genug ausgelassen. Ich möchte in diesem Artikel etwas mehr auf das Grundverständnis von Sicherheit eingehen und aufzeigen, warum Kauder auch beim Bereich Sicherheit falsch liegt.
Mit einem haben die Kauders und Uhls durchaus Recht: Der Bürger hat einen Anspruch auf Sicherheit. Ich möchte auch auf die Straße gehen können, ohne dass mich jemand überfällt. Kauder will mit seiner Aussage nun sagen, dass es bei den Fragen der inneren Sicherheit immer zu einem Trade-Off von Sicherheit und Freiheit kommt. Es handele sich quasi im konkurriende Ziele, den Sicherheit ist proportional zum Überwachungsdruck.
An einen Trade-Off zwischen Sicherheit und Freiheit denken die Radiergummipolitiker nicht wirklich. Das Dogma scheint viel mehr zu sein: »Was technisch möglich ist, muss auch gemacht werden.« Aber das ist nicht das einzige Problem, sie haben viel mehr auch einen völlig falsches Verständnis von Sicherheit. Sie denken mit steigender Überwachung gibt es einfach mehr Sicherheit, der dann den Verlust an Freiheit ausgleicht. Dieser Blickwinkel sieht den Staat ausschließlich als Garant für Sicherheit, der darüber erhaben ist selbst zur Bedrohung selbiger zu werden. Dies ist natürlich nicht der Fall. Zwei Diktaturen auf deutschem Boden im letzten Jahrhundert haben uns gelehrt, dass der Staat selbst sehr wohl in der Lage ist, die Sicherheit seiner Bürger deutlich einzuschränken. Nicht zuletzt ist der Staat sogar das gefährlichste Sicherheitsrisiko, immerhin unterhält er dank Gewaltmonopol Polizei, Militär und ähnliche Organe.
Als Schutz vor der Bedrohung durch den Staat gibt es die Bürgerrechte und das Rechtsstaatsprinzip. Erstere haben die Funktion von Abwehrrechten gegen den Staat, letzteres sorgt dafür, dass diese Rechte auch zur Durchsetzung kommen. Wie man in der Grafik (die ich mal selbst modelliert habe) sehen kann, sehe ich den Rechtsstaat als den Bereich, in dem tatsächlich maximale Sicherheit besteht.
In der Anarchie (I) herrscht – man möge mir die groben Definitionen verzeihen – das Faustrecht, die Sicherheit einzelner ist im Konfliktfall stark bedroht. Im Prä-Rechtsstaat (II) bestehen Gesetze, welche die Sicherheit der Bürger garantieren sollen, doch sie sind entweder zu schwach oder nicht gut durchsetzbar. Der Überwachungsstaat (IV) stellt die erste Degenerationsstufe des Rechtsstaates (III) dar. Der Staat sammelt flächendeckend Informationen über die Bürger, die er bei Notwendigkeit abruft. Aus dem Bürger wird der potentielle Verbrecher. Ab hier beginnt sich der Staat selbst durch Geheimniskrämerei abzuschotten um den Effekt der Überwachung zu erhalten. Es kommt zum panoptischen Effekt, jeder Bürger verhält sich so, als sei er ständig beobachtet. Im Präventionstaat (V) beginnt der Staat die Überwachung der Bürger in Echtzeit auszuwerten und unerwünschtes Verhalten von vorn herein zu unterbinden. Eine Umsetzung der Forschungsziele von INDECT würde in eine solche Situation führen. Mit Ozeanien bescheibt Orwell in 1984 einen Präventionsstaat. Im autoritären bzw. totalitären Staat (VI) wird der Staat schließlich offen willkürlich und rechtslos.
Mit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung hatte Deutschland erstmalig die Grenze zum Überwachungsstaat überschritten. Ab da musste man immer damit rechnen, dass der Staat auch noch 6 Monate später, jeden Link den man im Browser angeklickt hat im Zweifel nachvollziehen kann. Die subjektive Sicherheit derjenigen, für die das Netz zum »zweiten Lebensraum« geworden war, nahm damit besonders rapide ab. Gleichzeitig gibt es keinen objektiven Sicherheitsgewinn. Alle Untersuchungen und Zahlen kommen zu dem Ergebnis, dass die Vorratsdatenspeicherung keinen nennenswerten Nutzen bei der Aufklärung der schlimmen Straftaten hat, für deren Bekämpfung sie eingeführt wurde.
Die Piraten kämpften von Anfang an dagegen, weil sie wussten, dass es sich nur um ein Placebo handelte. Im Gegensatz zu den Catch-All-Parteien haben sie bereits jetzt erkannt, dass es einen Gipfel der möglichen Sicherheit gibt, der Rest ist das allgemeine Lebensrisiko. Mehr Überwachung führt nur zu einem Verlust an Sicherheit, weil der Staat selbst zur Bedrohung wird. Abschließend kann man also sagen: Während die Union sich tatsächlich nur als Überwachungspartei zeigt, sind die Piraten die wahren Kämpfer für die Sicherheit der Bürger.
Bilder in diesem Post: CC-BY 3.0 Andi Popp
7 Kommentare
2012-01-13 um 11:43 am
Jens Stomber (@ZombBi)
In Orwells 1984 handelt es sich meiner Meinung nach nicht um einen Präventionsstaat, sondern um einen totalitären Staat, der in alle sozialen Verhältnisse hinein zu wirken strebt und in dem der große Bruder bzw. die innere Partei die einzige Autorität darstellt
2012-01-13 um 2:43 pm
Sicher, sicherer, Videokamerastadt? | Piraten der Region Bamberg
[…] zum Verhältnis von Freiheit zur SicherheitQuelle: Andreas Popp – […]
2012-01-13 um 10:53 pm
bravo56
Nunja, ob man die Grenze zum Überwachungsstaat gerade an der VDS festmachen sollte, ist diskussionswürdig. Wenn man, wie Du, 1983 geboren ist, kan man das so sehen. Ich persönlich habe diese Grenze seinerzeit schon mit der Einführung der Rasterfahndung und spätestens beim großen Lauschangriff nahen gesehen.
Aber egal, wo man diese Grenze nun ansetzt, wenn es jemand gibt, der sich gegen diese Entwicklung stemmt, dann gehört der untestützt.
Ich hatte mir zu diesem Thema auch schon öfter mal Gedanken gemacht. Auch in meinem Blog: http://wasmirsoeinfaellt.wordpress.com/2011/11/30/sicherheit-und-freiheit/
2012-01-14 um 2:23 pm
Warum Freiheit Sicherheit ist « Piratenpartei Radevormwald
[…] von Andis Block) Es ist noch nicht so lange her, da sagte der CDU-Politiker Kauder seinen legendären Satz, der […]
2012-01-15 um 5:08 pm
Ein Pirat
Danke! Ergänzend interessant:
http://www.daten-speicherung.de/index.php/evolutionspsychologe-so-wenig-gewalt-wie-heute-gab-es-noch-nie/
2012-01-23 um 3:45 pm
edomblog
Das finde ich als eine gute differenzierte Darstellung. Nur das Kürzel „BRD“ mag ich nicht. Und andere EU-Staaten und europäische Länder wären am besten noch zum Vergleich und Orientierung einzuarbeiten.
2012-02-02 um 12:24 pm
MarcusHH
1. Der Vergleich unseres Staates mit dem NS-Regime oder der DDR zeugt von Böswilligkeit oder Dummheit.
2. Mit dem möglichen Missbrauch zu argumentieren, ist unlauter. Damit hätte man schon unseren Vorfahren in der Höhle das Feuer verbieten können.
3. Die Gleichsetzung schwerer Straftaten mit „unerwünschtem Verhalten“ ist ebenso unlauter.
4. Mir konnte noch niemand erklären, welchen Schaden bzw. welche Beeinträchtigung ich erleide, wenn mich der Staat auf der Straße filmt oder nachsehen kann, mit wem ich telefoniere oder maile.
5. Die Grafik ist willkürlich, vor allem die Einordnung der Bundesrepublik.
6. Der Staat sollte seinerseits -da stimme ich mit den Piraten überein- eine völlige Transparenz seiner Gebahren herstellen, und zwar nicht erst auf Anfrage, sondern vorab im Netz.