Seit es technische Umbrüche gibt, gibt es Menschen, die sich davor fürchten. Besonders ausgeprägt ist der Kulturpessimismus in der Unterhaltungsindustrie, die seit einer gefühlten Ewigkeit ihren Untergang bekämpft. Ich habe keinen Nachweise für die Authenzität des Flugblatts gegen den Tonfilm, das derzeit durch das Netz geistert, aber es ist bezeichnend. Die Rethorik vom »geistigen Mord« passt sich ein in den »Diebstahl geistigen Eigentums« und die »Raubkopie«. Authentisch oder nicht, wir alle kennen diese Abgesänge auf die menschliche Kultur.
Das Radio sollte den Untergang der Musik einleiten, das Fernsehen den Untergang des Kinos. Es kamen die Musikkassette, die Videokassette, der CD-Brenner und schließlich das Filesharing und jedes Mal war das Geschrei groß.
Auf der einen Seite ist das verständlich, viele Medien und die damit verbundenen Industrien haben an Bedeutung verloren. Der Stummfilm ist nur noch eine Randerscheinung für Liebhaber, genauso wie Schallplatten, Kassetten und CDs. Diejenigen, die auf diese auslaufenden Technologien gesetzt haben, beharren auf dem Status Quo des Urheberrechts, der ihnen ihrer Meinung nach unumstößlich zusteht.
Auf der anderesen Seite vergessen wir unter den ganzen Predigten vom »geistigen Eigentum«, den Prophezeiungen vom Ende der kulturellen Weiterentwicklung der Menschheit und dem Wehklagen über geschmolzene Gewinne der Unterhaltungsindustrie aber viel zu oft, worauf es wirklich ankommt: Das kreative Schaffen.
Ich weiß nicht wie es euch geht, aber allen Warnungen der Unterhaltungsindustrie zum Trotz, kann ich keinen Rückgang im kreativen Schaffen sehen, ganz im Gegenteil. Der Tonfilm mag das Ende der Begleitorchester gewesen sein, hat aber gleichzeitig das Tor für eine viel größere Zahl von fantastischen Film-Soundtracks geöffnet.
Als Geburtsstunde des Filesharings über das Netz darf wohl mit Fug und Recht der Start von Napster im Juni 1999 gelten. Seit dem sind fast 13 Jahre vergangen, aber von einem Rückgang an kreativen Werken keine Spur. Jedes Jahr gibt es große und erfolgreiche Blockbuster im Kino, Musiker, die zu Superstars werden und Bestseller, welche über die Ladentheken wandern. Dazu kommen heute eine Vielzahl kleiner Künstler, die über das Netz ein Publikum erreichen können, welches Ihnen vorher verwehrt war.
Auch wenn sicher einiges an Werken unvergütet durchs Netz kopiert wird, scheint dies dem kreativen Schaffen keinen Abbruch zu tun. Dieses Empfinden hat Mike Masnick von Techdirt nun in einer Studie bestätigt, in der er einfach mal die nackten Zahlen zusammengetragen hat. Demnach schießt nicht nur die Zahl der produzierten Werke steil nach oben, sondern auch der Gesamtmarkt ist von 1998–2010 um satte 2/3 gewachsen.
Allein vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, ob die Kauders und Hevelings dieser Welt einfach nur engstirnig und unwissend sind oder ob sie andere Ziele verfolgen (wahrscheinlich beides). SOPA, PIPA und ACTA sind so oder so inakzeptabel, aber aus diesem Blickwinkel sind sie obendrein absolut überflüssig. Es wird Zeit für eine Lockerung des Urheberrechts, nicht für eine weitere Verschärfung auf Kosten der Bürgerrechte und es liegt an uns dies zu erreichen. Und die nächste Gelegenheit etwas zu bewegen, ist der weltweite Aktionstag gegen ACTA am 11. Februar 2012.
5 Kommentare
2012-02-01 um 11:23 am
LordSnow
ein schönes Zeitdokument zur Mär:
http://cliphead.wordpress.com/2010/04/12/sind-leer-cassetten-der-tod-der-schallplatte/
2012-02-08 um 10:33 am
Andis Blog
[…] sicher, dass es gar nicht notwendig ist Abstriche an der (digitalen) Freiheit zu machen. Die Studie von Mike Masnick hat gezeigt, dass der Content-Markt trotz des Internets immer noch funktioniert […]
2012-02-08 um 10:34 am
Das Recht auf angemessene Vergütung « Andis Blog
[…] sicher, dass es gar nicht notwendig ist Abstriche an der (digitalen) Freiheit zu machen. Die Studie von Mike Masnick hat gezeigt, dass der Content-Markt trotz des Internets immer noch funktioniert […]
2012-02-10 um 7:22 pm
doc1971
Das Flugblatt „Gegen den Tonfilm“ ist bei
http://www.tarphos.de/blog/2009/09/gegen-den-tonfilm-fur-lebende-kunstler/
als Fotografie aus dem Nürnberger Museum Industriekultur zu sehen.
Wird wohl authentisch sein…
2012-07-24 um 12:52 pm
Der Crowdbonus – eine politische Förderung des Crowdfundings « Andis Blog
[…] tatsächlich aussehen soll, darüber müssen sich Urheber und Verwerter Gedanken machen. Das klappt tatsächlich besser, als das Wehklagen so mancher Content-Lobbyisten vermuten […]