Ich bin auf Youtube auf ein interessantes Video gestoßen, nämlich die WDR-Wahlarena zur Landtagswahl am kommenden Sonntag in NRW. Ein Abschnitt ist besonders interessant.

Die Moderatorin zitiert das Landeswahlprogramm der NRW-Piraten wie folgt:

Die PIRATEN NRW fordern […], dass eine beitragsfreie Ganztagsbetreuung in wohnortnahen Kindertagesstätten mit kind- und elterngerechten Öffnungszeiten für Kinder ab dem ersten Lebensjahr flächendeckend angeboten wird.

Und danach fragt sie »Klingt prima, wer zahlt’s?« Joachim Paul macht in der Sendung deutlich klar, dass es sich bei allen Forderungen im Programm um Zielvorstellungen handelt. Frau Kraft erwidert dann, dass man für die Ziele eine Grundsatzprogramm hat und sagt dazu: »In den Parteiprogrammen zu ner Wahl muss man konkret sagen was man bringt.« und wundert sich dann wie sich die Piraten bei den konkreten Fragen in der Haushaltsdiskussion verhalten werden.

Kleine Anmerkung am Rande: Frau Kraft zeigt in der Debatte, dass sie keine Ahnung von Transparenz hat. Sie findet der Haushalt des Landes NRW ist das transparenteste Ding überhaupt, weil sich ja jeder in die Ausschüsse setzen kann. Vogonismus vom feinsten.

Aber zurück zum Wahlprogramm. Auch die NRW-SPD hat ein schönes kompaktes Wahlprogramm mit dem Titel »NRW auf gutem Weg«. Darin beschreibt die SPD erst mal ausführlich was sie bisher alles erreicht hat. Aber jetzt will sie ja auch sagen was sie »bringen« will. Bleiben wir bei dem Beispiel von oben, der Kinderbetreuung. Die Piraten wollen flächendeckend Kindertagesstätten. Was will die SPD? Schauen wir doch mal im Abschnitt drei unter der tollen Überschrift »Kein Kind zurücklassen. Gut für NRW.« (Z. 185).

Familien stärken heißt: Frühzeitig und vorsorgend helfen. Dazu ist es notwendig, die Angebote der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, der Sozialhilfe sowie des Bildungs- und Gesundheitssystems mehr miteinander zu vernetzen. Vorbeugend ausgerichtete Politik muss alle Kinder in den ersten Lebensjahren oder – noch besser – bereits vor der Geburt des Kindes erreichen. So stärken wir die Möglichkeiten zur Teilhabe von Eltern, Kindern und Jugendlichen. Wir brauchen eine Präventionskette, in der bestehende Maßnahmen verzahnt, Lücken geschlossen und dadurch spätere Kosten vermieden werden.
Unser Ziel ist: Kein Kind zurücklassen.

Acht Zeilen Geschwurbel, von den konkreten Forderungen die Frau Kraft so anpreist keine Spur. Ich weiß nicht mal ob sich der Abschnitt überhaupt auf Kinderbetreuung bezieht oder auf was ganz anderes. Aber einen Absatz weiter (Z. 204) wird es konkret.

Mit einem Landesinvestitionsprogramm von 400 Mio. Euro unterstützen wir die Kommunen bei der Schaffung von U-3-Plätzen. Damit verbessern wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ah, da haben wir’s. Die Piraten fordern flächendeckende Kitaplätze, die SPD will 400 Mio. Euro (immerhin 17,7% des Budgets des Ministeriums für Familie, Kinder, Kultur und Sport) an die Kommunen ausschütten, damit die Plätze schaffen. Klingt prima, wer zahlt’s? Die Frage, an der die Piraten immer scheitern wird von der traditionsreichen Volkspartei SPD beantwortet. Not. Jetzt kommt die große Überraschung. Nirgendwo in den 21 Seiten des Wahlprogramms der NRW-SPD wird bei den Forderungen die Geld kosten ein Finanzierungskonzept mit vorgelegt. Seien es – nur um ein paar Beispiele zu nennen – wohnortnahe Grundschulen (Z. 205), der Ausbau der Ganztagsschule (Z. 239), alle Forderungen zur Stärkung der Infrastruktur (Z. 531) oder das Gemeindefinanzierungsgesetz (Z. 698), dass laut eigener Aussage mit 8,4 Mrd. Euro die größte Zuwendung in der Geschichte des Landes ist. Wenn es mal sowas ähnliches wie ein Finanzierungskonzept gibt, dann heißt das immer »der Bund soll das bezahlen«, wie z.B. bei der Behindertenförderung (Z. 731).

Das ganze ist jetzt keine großartige Überraschung. Politik funktionierte schon immer so, dass die Parteien politische Projekte angeboten haben. Das Geld reicht nie für alles, deswegen werden in der Haushaltsdebatte – wie es Joachim Paul sehr genau getroffen hat – Prioritäten gesetzt. Und die gehen eben danach wofür man Mehrheiten bekommt. Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass der Grund dafür, dass am Sonntag in NRW gewählt wird, ist, dass die SPD-Regierung es nicht geschafft hat eine Mehrheit für ihren Haushalt zu bekommen, weil sie nicht wusste, wie die FDP sich bei der Haushaltsabstimmung verhält, was wiederum das Horrorszenario ist, dass Frau Kraft über die Piraten zeichnet.

Aber die Frage »Wer bezahlt’s?« wurde ja auch von der Moderatorin aufgeworfen, nicht von Frau Kraft. Die hat sich ja gefragt, wie die Piraten sich in der Haushaltsfrage verhalten. Da wird die SPD also sicher eine sehr konkrete Vorstellung präsentieren, oder? In den Zeilen 111 bis 158 geht es im SPD-Programm um die Finanzen. Besonders konkret wird es dennoch nicht. Es ist im wesentlichen das übliche: Sparen, aber in tolle Projekte investieren und mehr einnehmen will man auch noch. Bis 2020 soll die Neuverschuldung auf jeden Fall auf Null sein. Wo konkret gespart wird steht da nicht. Und die Mehreinnahmen? Da setzt man tatsächlich auf Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, die Finanztransaktionssteuer und eine Besteuerung von Spitzeneinkommen (klassische SPD-Forderungen). Oder sagen wir besser man hofft darauf, denn diese Steuern sind entweder schon beim Bund aufgehängt oder sie werden wohl dort eingeführt (oder gleich in Europa).

So richtig kann man sich als Wähler also auch nicht vorstellen wie sich die SPD in der Haushaltsfrage verhält. Wenn die erhofften Steuermehreinnahmen ausbleiben, man aber an den Zukunftsinvestitionen festhalten will, wo wird dann gespart? Von den berühmten konkreten Forderungen ist man auf jeden Fall weit entfernt.

Es ist hier an der Zeit mit ein paar Mythen aufzuräumen. Der Maßstab der hier von den Medien und den etablierten Parteien an die Piratenpartei angelegt wird, wird von letzteren selbst überhaupt nicht eingehalten. Die alte Leier »Die haben doch keine Inhalte« wirkt vor der Tatsache, dass die SPD in NRW nur ca. 8500 Wörter Programm hat und wir über 28000 recht lächerlich. Natürlich macht die schiere Masse an Wörtern allein kein gutes Programm, aber wenn bei der SPD auch noch ein großer Teil nur Selbstbeweihräucherung und inhaltsleeres Geschwurbel ist (und manche Altparteien gar kein Wahlprogramm haben) dann ist das schon ein deutliches Indiz.

Ganz besonders will ich aber hier nochmal betonen, dass der Vorwurf die Piraten wollen nur »haben« und sagen nicht wie sie das finanzieren wollen einfach lächerlich ist. Parteien liefern in den seltensten Fällen ein vollständiges Finanzierungskonzept zu einer politischen Idee mit. Zur Finanzierung von politischen Projekten gibt es den Staatshaushalt. Und auch in der Haushaltspolitik geben sich die Altparteien eher weniger konkret. Selbst die Bundes-SPD hat in ihrem letzten Wahlprogramm zwar umfassende steuerpolitische Vorschläge – das muss der Neid lassen. Aber einen Haushaltsentwurf sucht man auch dort vergebens (wäre auch etwas vorschnell, oder?). Und ob der Bankenbailout oder der Eurorettungsschirm 2009 im finanzpolitischen Wahlprogramm der CDU oder FDP berücksichtigt wurde, hab ich jetzt nicht weiter recherchiert.

Natürlich sind die Forderungen der Piraten sehr umfangreich und auch ich glaube, dass man darauf achten muss, nicht das blaue vom Himmel zu versprechen um danach zu merken, dass man das gar nicht bezahlen kann. Ich verstehe auch, dass die anderen Parteien da sicher erfahrener – und wahrscheinlich auch ernüchterter – darüber sind, was die Finanzen hergeben. Aber für eine junge Partei, die sich auf ihren ersten Parlamentseinzug in NRW vorbereitet, ist es erstmal wichtig, sich ein politisches Profil zu geben. Und da bei jedem Ziel gleich konkrete Finanzierungskonzepte zu verlangen, die typischerweise nicht mal von den Altparteien vorgelegt werden, ist schon etwas sehr viel Anspruch.

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