Die Debatte ums Urheberrecht wird mit voller Leidenschaft geführt. Nicht zuletzt liegt es daran, dass die technisch-soziale Entwicklung bei vielen professionellen Urhebern Ängste darüber auslöst, dass ihre Einkommensquelle wegbricht. Sind diese Ängste gerechtfertigt? Das Beispiel der Musik-CD scheint dem Recht zu geben. Dieser Markt hat heute nur noch Randbedeutung. Digitale Musikdownloads ziehen zwar an, aber können den Spitzenzeiten der Musik-CD (noch?) nicht das Wasser reichen. Ist dies ein Anzeichen dafür, dass Urheber arbeitslos werden und das kreative Schaffen einbricht?

Bleiben wir beim Beispiel Musik. Treten wir einen Schritt zurück und schauen uns das menschliche Musizieren im Laufe der Zeit an. Je nachdem wo man nachliest, datieren die ersten noch auffindbaren menschlichen Musikinstrumente 45000 bis 35000 Jahre zurück. Die erste vollständig dokumentierte Musiknotation entstand in Griechenland zwischen 700 und 250 v. Chr. Die kommerzielle Verwertung von gespeicherten Tonaufnahmen – die ein zentraler Gegenstand der hitzigen Urheberrechtsdebatte im Bereich der Musik ist – ist dagegen gerade mal 100 Jahre alt.

Nutzt man die schöne Metapher, dass das menschliche Musikschaffen genau einen Tag dauern würde, so gäbe es die Konservierung von Musik in Noten gerade mal seit 1,5 Stunden, die kommerzielle Verwertung von Tonaufnahmen gerade mal seit etwa 4 Minuten.

Die Uhr des menschlichen Musikschaffens

Vielleicht ist es etwas unfair die Musikindustrie gegen die gesamte menschliche Geschichte zu halten, aber selbst wenn man nur die neuzeitliche Musik nimmt – die große Epochen wie Renaissance, Barock, Klassik und Romantik hervorgebracht hat – gibt es die kommerzielle Verwertung von Tonaufnahmen nur seit einem knappen Fünftel dieser Zeit.

Der Grund für die Entstehung der Musikindustrie ist simpel. Die Technik machte es möglich, dass Musik im Ton auf Wachsrollen, Schallplatten, Magnetbändern oder Plastikscheiben speicherbar und damit kopierbar wurde. Der Prozess, der für diese Vervielfältigung notwendig war, bedurfte aber technischen Mitteln, die nur im industriellen Maßstab rentabel waren und zur Verbreitung brauchte man das Netz des Groß- und Einzelhandels. Und so war es nur recht und billig das Recht auf diese Vervielfältigung im Urheberrecht zu regeln, um einen Ausgleich zwischen dem Urheber und dem Verwerter zu schaffen (Tatsächlich war der Buchdruck der Anlass, der quasi das Gegenstück zur Schallplatte bei Texten war, aber so spitzfindig wollen wir mal nicht sein).

Doch über die Zeit hinweg ging dieser Vorteil der Industrie langsam verloren. Tonbänder waren das erste Medium, dass es den Nutzern ermöglichte Tonaufnahmen selbst zu vervielfältigen, anfangs noch mit großen Qualitätsverlust. Mit der Digitalisierung beschleunigte sich dies. CD-Brenner wurden erschwinglich und ermöglichten bald jedem Nutzer verlustfreie Kopien zu erstellen. Mit der Entwicklung effizienter Komprimieralgorithmen wie MP3 und dem Breitband-Internet waren die Nutzer schließlich in der Lage die Aufgabe der Vervielfältigung und Verbreitung von Musik besser und effizienter zu erfüllen als die Plattenindustrie.

Die technische Entwicklung hat es ermöglicht, dass der Verkauf von kopierten Tonaufnahmen für ein Jahrhundert ein gutes Geschäftsmodell war. Sie hat aber auch dazu geführt, dass dieses Geschäftsmodell wieder zusammenbricht. Es war ein schönes Jahrhundert für Musikindustrie, aber es ist vorbei.

Dies ist ein vollkommen normaler Prozess, der sich in verschiedenen Wirtschaftsbereichen seit Menschengedenken abspielt. Früher haben Menschen Eis aus den Bergen in die Städte geschafft um ihre Lebensmittel frisch zu halten. Daraus entstand ein Wirtschaftszweig. Die ältesten unter uns erinnern sich vielleicht noch an den Beruf des Eismanns, der Haushalte mit gelagertem Natureis oder industriell hergestelltem Eis belieferte. Das Herstellen von Eis war lange der Industrie vorbehalten, aber mit dem Aufkommen des Gefrierschranks konnten es plötzlich alle.

Dass der Verkauf von Kopien, seien es jetzt CDs, DVDs, Bücher oder etwas anderes, als Geschäftsmodell seinen Zenit überschritten hat, ist weder unerwartet noch problematisch. Die Geschäftsmodelle haben sich auch im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Im Mittelalter lebten Musiker entweder von ihrem Stand (Minnesänger) oder vom Hut, den sie nach dem gespielten Sauflied in der Taverne rumgehen ließen. Die Komponisten der Klassik entdeckten das Mäzenatentum für sich.

Auch heute gibt es andere Geschäftsmodelle neben dem Kopienverkauf. Darunter sind sowohl klassische Modelle wie Kino, Live-Konzerte und Merchandising, als auch neue Ansätze. Manche Künstler vermarkten sich selbst statt ihr Werk, andere bauen eine starke Verbindung zu ihren Fans auf, was letztere dazu bringt freiwillig Geld zu bezahlen und mit dem Crowdfunding erleben wir die demokratisierte Renaissance des Mäzenatentums. Auch für die Verwerter gibt es dort genug Chancen. Fortschrittliche Webdienste und Apps bieten den Nutzern einen völlig neuen Nutzungskomfort und die Unternehmen der Musikindustrie haben sich auch längst vom reinen Plattenverlag weg zu Produktions- und Promotionsfirmen entwickelt.

Dass Nutzer kreative Werke heute frei vervielfältigen können ist also nur eine Folge der technisch-sozialen Entwicklung. Filesharing ist der logische nächste Schritt nach Aufnahmen aus Radio und TV. Eine Politik, die glaubt dies mit Gesetzgebung verhindern zu können, braucht sich nicht wundern wenn das Urheberrecht an gesellschaftlicher Akzeptanz verliert. Die Politik muss sich deswegen nicht die Frage stellen, wie man auf dem Kopiermonopol beruhende Geschäftsmodelle rettet, sondern wie sie den Übergang von den alten zu den neuen Geschäftsmodellen unterstützt.

Einige sehen in den Pauschalabgaben – die eingeführt wurden weil man schon bei Tonbändern und Fotokopieren wusste, dass man privates Kopieren nicht verhindern kann – als eine adäquate Lösung. Andere – dazu zähle ich mich – verweisen lieber auf die Tatsache, dass mit den bestehenden Geschäftsmodellen bereits jetzt genug Umsatz erzielt wird, was zeigt dass der Übergang auch ohne politische Maßnahmen gut funktioniert. Wieder andere liebäugeln mit speziellen Ideen für bestimmte Werksarten und es gibt sicher noch genug Ansätze, die ich noch nicht kenne. Welcher Meinung man auch immer sein mag: Die Frage nach der Zukunft der Kühlschränke ist die, die wir diskutieren müssen, nicht die Frage nach der Rettung des Berufsstands des Eismanns.

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