Vor etwas mehr als einer Woche löste ein Blogpost von Emily White auf npr.org eine rege Debatte in der US-Blogersphäre aus. Die Überschrift »I Never Owned Any Music To Begin With« ist sehr bezeichnend. Sie schreibt im wesentlichen über das Lebensgefühl einer 21-jährigen Musikenthusiastin, die mitten in die digitale Revolution der Musik hineingeboren wurde und in ihrem Leben bisher kaum Musik gekauft hat (11000 MP3 vs. 15 CDs). Das Ganze brachte mich zum Nachdenken und so überschreibe ich meinen Blogpost heute mit »Ich habe noch nie Musik gekauft«.
Ich bin 7-8 Jahre älter als Emily und noch ein Kind des Kassetten- und CD-Zeitalters. Mit den Kassetten habe ich hauptsächlich Musik von Freunden überspielt oder aus dem Radio aufgenommen und im kleinen Kassettenrekorder in meinem Zimmer angehört. Erst als sich meine Eltern eine Stereoanlage mit CD-Player kauften, begann auch ich CDs zu kaufen. Die wenigsten davon waren Alben (zu teuer), meist waren es eher Maxis und Sampler. Und dennoch habe ich keine Musik gekauft, sondern CDs. Das muss man unterscheiden.
Ich konnte quasi jedes Lied, das ich wollte, auf Kassette haben. Irgendjemand im Freundeskreis hatte immer was ich suchte. Ich habe CDs gekauft, weil sie einfach ein besseres Produkt waren als Musikkassetten. Sie hatten eine deutlich bessere Tonqualität, sie waren haltbarer (Stichwort: Bandsalat), man konnte einzelne Titel direkt ansteuern und musste sich nicht irgendwelchen Vor- und Rückspulorgien hingeben und es war sogar möglich die Titel auf einer CD in einer zufälligen Reihenfolge abzuspielen (die immer gleiche Reihenfolge auf Kassetten ging mir irgendwann auf die Nerven). Kurzum: Es waren diese Features, dieser Bedienungskomfort wofür ich Geld ausgab.
Wie wir alle wissen sollte der Siegeszug der CD nicht ewig halten. CD-Brenner wurden erschwinglich und wurden bald von komprimierten Dateien (vorwiegend MP3 ersetzt). Plötzlich waren komplexe CD-Wechsler die Dinosaurier unter den Medienwiedergabegeräten. CDs waren nicht nur sperrig, Kopierschutzmaßnahmen sorgten sogar noch dafür, dass sie für meine modernen, sauteuren Geräte mit MP3-Wiedergabe (z.B. Autoradio) vollkommen nutzlos waren. Filesharing schien da einfach die beste Lösung. Irgendwann hat Musik sowieso nicht mehr so einen hohen Stellenwert in meinem Leben eingenommen, als andere Medien (allen voran Computerspiele) für mich wichtiger wurden. Irgendwann kaufte keine Musikprodukte mehr.
Es ändert nichts an der Tatsache, dass ich noch nie für Musik – übrigens auch nicht für Filme oder Texte – Geld bezahlt habe, sondern immer für Produkte die mir den Konsum der Inhalte erleichtert haben. Und hier ist Parallele zu Emily White wenn sie schreibt:
Aber ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass meine Gleichaltrigen und ich jemals für Alben bezahlen. Ich glaube wir werden für Bequemlichkeit bezahlen.
Ich glaube das war auch schon die anderen Generationen davor so. Früher war es halt bereits Bequemlichkeit wenn man das Stück auf einer Schallplatte gespeichert bekommt. Und tatsächlich gibt es ja viele neue Dienste wie Spotify, die Musikclouddienste von Apple und Google und auch das vielgescholtene Youtube, die durchaus vielversprechend sind erneut mehr Bequemlichkeit bieten zu können.
Dennoch bleibt es dabei, dass ich (und ich glaube viele andere Menschen verschiedenster Generationen auch) nie Musik als solches gekauft haben. Ich weiß, das klingt auf den ersten Blick etwas absurd, aber seid ehrlich zu euch selbst und stellt euch diese Frage ebenfalls – ohne Vorurteile.
Vor kurzem hatte ich ein Streitgespräch mit Agnes Krumwiede von den Grünen und die würde an dieser Stelle vielleicht sagen, dass sie es unmöglich findet, wie wenig Respekt ich vor der Arbeit der Künstler habe, wenn ich Musikprodukte nur aus so banalen Gründen wie Bequemlichkeit kaufe. Aber so ist das beim Kommerz. Kaufhandlungen und Respekt vor Arbeit sind zwei unterschiedliche Dinge, das eine führt nicht zwingend zum anderen. Ich kaufe mir auch Brot, weil ich es essen will und das völlig unabhängig davon ob ich Respekt vor der Arbeit des Bäckers habe oder nicht.
Als Politiker bin ich mir natürlich der wichtigen politischen Frage des Stellenwerts von Arbeit in unserer Gesellschaft bewusst, aber als Konsument kaufe ich halt erst mal das was mir einen Nutzen bringt – oder um Fettes Brot zu zitieren: »Entweder brauchen wir das oder wir kaufen es nicht«. Klingt banal, aber die Debatte wird ja immer auf kommerzielle Kunst reduziert und Kommerz funktioniert nunmal so, man befriedigt seine Bedürfnisse.
Nun wisst ihr warum ich bisher keine Musik gekauft habe. Aber die Überschrift hat ja noch einen zweiten Teil, der impliziert, ich hätte gerade eben Musik gekauft. Aber wie geht das, wenn man doch anscheinend nur Produkte die Musik beinhalten kauft und nicht die Musik an sich. Ich habe heute meinem ersten Musik-Crowdfunding-Projekt gepleged (nachdem ich mich bisher eher auf Games und Filme beschränkt habe). Mit Crowd-Funding kauft man tatsächlich Musik. Man könnte sagen ich gebe gemeinsam mit alle anderen Unterstützern Musik in Auftrag. Der ein oder andere wird es vielleicht lieber mit einer Dienstleistung vergleichen – was gar nicht so falsch ist, denn bei einer Dienstleistung bezahle ich ja tatsächlich die Arbeit, nicht das »Produkt« – aber unterm Strich gebe ich dieses Geld tatsächlich für das Werk selbst aus und nicht für die Bequemlichkeit es zu nutzen wie bisher.
Tatsächlich muss ich zugeben, dass man über den Zeitpunkt meines ersten Musikkaufs streiten kann. Ich habe schon vielen Musikern, die (mehr oder weniger) freie Musik machen, Geld gegeben. Dahinter steckt auch die Hoffnung, dass die dank dieses Geldes (und dem Geld vieler anderer) weiter Musik machen können. Aber das ist eher eine Vorstufe des Crowdfundings, man bezahlt ja immer noch kein konkretes Werk. Dann wiederum kann man natürlich auch argumentieren ob z.B. Amanda Palmers 1,2-Millionen-Dollar-Projekt so konkret war.
So oder so: Mit Crowdfunding gibt es nun ein Werkzeug, mit dem es möglich ist das wirklich knappe Gut – die Leistung des Künstlers – zu vermarkten, statt das Werk künstlich zu verknappen. Und so möchte ich mich auch dem Vorwurf verwehren, Crowdfunding wäre eine Art Almosen. Ich finde die Idee immer noch großartig: Die Nutzer geben Geld, die Urheber geben Werke und beide behandeln sich mit Respekt. Vielleicht ist es der Schlüssel in eine Zukunft des kulturellen Überflusses, in dem jeder Mensch 24/7-Zugang zu allen kulturellen und wissenschaftlichen Werken der Menschheit hat (das originäre Ziel der Piratenbewegung) und in der kreatives Schaffen dennoch finanzierbar bleibt. Fürs erste ist aber vor allem eins: Eine Möglichkeit Musik, Filme, Bücher und andere Werke wirklich zu kaufen.
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1 Kommentar
2012-06-26 um 3:52 pm
Slash
Die Almosen-Kritik greift eh in’s Leere:
Bei jedem Geschäftsmodell muss man einen Dritten davon überzeugen, dass sich eine Investition lohnt; früher war’s der Mäzän, heute der Label-Boss, morgen vielleicht die Netzgemeinde – das nimmt sich alles nichts, das ist kein Unterscheidungsmerkmal und interessiert somit im Rahmen einer Vergütungsabwägung auch nicht.