Ja ich gebe es zu, auch ich habe Deutschland gegen Italien gesehen als das neue Meldegesetz den Bundestag passiert hat. Umso mehr bin ich erleichtert, dass dieses Machwerk den Bundesrat wohl nicht passieren wird. Dennoch ist es abstrus. Das Gesetz wird beschlossen, der Protest zieht an und plötzlich ist es keiner gewesen. Die Bundesregierung distanziert sich, die CSU distanziert sich, jetzt will es wieder niemand gewesen sein. Ein Gesetz passiert den Bundestag und niemand weiß wie das passieren konnte. Das ist nicht weniger als ein Armutszeugnis für unser Parlament, allen voran die Regierungsfraktionen.

Rekapitulieren wir den Prozess nochmal. Schaut man sich den TOP in der Plenarsitzung des Bundestags nochmal in der Aufzeichnung an, sieht man, dass der ganze Spaß 57 Sekunden dauert. Es gibt nicht mal eine mündliche Aussprache. Aber wie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau uns erklärt, sind die Reden zu Protokoll genommen. Also schlagen wir das doch mal auf. Auf Seite 22464ff. stehen die Reden.

Siehe da, alle drei Redner der Opposition weisen auf die datenschutztechnischen Todsünden im Gesetzentwurf hin (neben der Wiedereinführung und anschließenden Aushebelung des Opt-Outs, übrigens auch die automatisierte Melderegisterauskunft). Manuel Höferlin (FDP) geht sogar explizit auf diese Kritik ein und verteidigt z.B. den Opt-Out:

Durch die jährliche ortsübliche Bekanntmachung der Widerspruchsmöglichkeit kann der Betroffene auch realistischer Weise von diesem recht speziellen Gebiet Kenntnis erlangen und wird nicht dauernd mit lästigen Einwilligungsanfragen behelligt.

Und er ist sich obendrein nicht zu schade der Kritik mit einem To-quoque-Argument zu begegnen:

Dem Vorwurf der Sozialdemokraten, den Datenschutz nicht hinreichend berücksichtigt zu haben, begegne ich mit der Frage, warum die SPD bisher in den Ländern
nicht selbst tätig geworden ist.

Und obendrein ist er noch stolz darauf, dass sie »das Recht der betroffenen Person, einer automatisierten Melderegisterauskunft zu widersprechen« gestrichen haben. Schöne Bürgerrechtspartei die FDP.

Die Argumente sind ausgetauscht, die Beschlussempfehlung liegt vor, jetzt sollte doch alles klar sein, oder? Wie kann es also sein, dass ein Gesetzentwurf den anscheinend keiner so richtig will durch das Parlament kommt?

Das Problem ist der parlamentarische Prozess an sich. Nun bin ich ja der letzte, der verlangt, dass alle Abgeordneten während der Sitzungswochen ständig im Plenarsaal sitzen, ich weiß ja, dass auch in den Ausschüssen und im Büro Arbeit wartet. Aber hier ein Gesetz, dass im Innenausschuss nochmal entscheidend geändert wurde, von der ausgehandelten Proxy-Mehrheit im Plenarsaal in weniger als einer Minute ohne Debatte (ich traue mich fast wetten ich bin der erste, der die zu Protokoll gegebenen Reden gelesen hat) nach Fraktionsbeschluss durchzuwinken geht einfach nicht.

Einige mögen jetzt sagen, die Debatte fand doch schon im Innenausschuss statt. Aber der tagte am 27. Juni 2012 (einen Tag vor dem Gesetzesbeschluss) um 10:00 in einer nicht-öffentlichen Sitzung, keine Aufzeichnung, keine Übertragung, kein Protokoll. Das heißt wir, die Bürger – und wie es aussieht diesmal sogar die Bundesregierung – haben von den strittigen Punkten erst dann erfahren, als das Gesetz schon längst beschlossen war.

Und wieder einmal haben wir ein Paradebeispiel für intransparente Hinterzimmerpolitik. Dass es diesmal auch die Bundesregierung erwischt hat, würde mich da sogar mit hämischer Freude erfüllen, wenn das Ergebnis nicht so grausig wäre. Dieser Fall zeigt, dass wir ein entscheidendes Umdenken in unserem parlamentarischen Prozess brauchen.

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