tl;dr
Wir müssen mit der deutschen Exportweltmeister-Mentalität aufhören, wenn wir die Finanzkrise nachhaltig in den Griff kriegen wollen. Stattdessen muss Europa enger zusammenwachsen.
Die Finanzkrise lässt Europa nicht aus ihrem Griff. Während unsere Kanzlerin versucht die Kuh noch irgendwie vom Eis zu holen, driftet die Diskussion zwischen ESM, Eurobonds und Co komplett in die Frage nach der kurzfristigen Lösung ab. Umso begeisterter war ich gestern einen Artikel auf SPON zu finden, der mal das eigentliche Problem zumindest kurz anreißt: Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht. Grund genug dies mal in einem Artikel genauer zu diskutieren.
Vorweg: Die ökonomisch gebildeten Leser mögen mir verzeihen, wenn ich versuche die Sachverhalte hier möglichst einfach darzustellen und deswegen verschiedene Begrifflichkeiten nicht ganz trennscharf verwende.
Das grundlegende Problem
Stellen wir uns zum Einstieg die Frage: Warum ist Griechenland in der Krise? Meist wird hier die Staatsverschuldung als Grund genannt. Dem kann ich mich durchaus anschließen. Griechenland ist in der OECD an zweiter und in Europa an erster Stelle was die relative Staatsverschuldung angeht. Auch die Krisenländer Portugal und Italien befinden sich unter den europäischen Top5[1].
Lassen wir die Frage ob Belgien oder dem Vereinigten Königreich auch eine Krise droht mal außen vor und schauen wir uns eine noch interessantere Zahl an. Die Spitzenposition in der Staatsverschuldung in der OECD vor Griechenland nimmt Japan mit 183,53% im Jahr 2009 ein. Der japanische Staat ist also mit fast dem doppelten der Jahresleistung seiner kompletten Volkswirtschaft verschuldet. Nun ist Japan wirtschaftspolitisch nicht unbedingt ein Musterland, aber es wird jetzt nicht so häufig als Krisenland in griechischem Ausmaß angesehen.
Um den Unterschied zwischen Griechenland und Japan zu erläutern, müssen wir einen Schritt zurück gehen und nicht nur den jeweiligen Staatshaushalt, sondern die gesamte Volkswirtschaft betrachten. Wie jeder Privathaushalt Schulden macht, indem er mehr ausgibt als er einnimmt, macht auch eine Volkswirtschaft Schulden, indem sie mehr konsumiert als produziert. Produktionsüberschuss kann man exportieren, Produktionsdefizite muss man importieren. Wenn nicht genug produziert wird um den eigenen Konsum zu finanzieren, muss jemand in der Volkswirtschaft Schulden machen. Da wir wissen, dass wirtschaftlich angeschlagene Demokratien durchaus zu Populismus neigen und der Staat damit mehr ausgibt, schlägt sich dieses Defizit nicht selten in der Verschuldung öffentlicher Haushalte nieder.
Nehmen wir die Leistungsbilanz als Maßzahl für Überschüsse und Defizite ergibt sich hier ein entsprechendes Bild[1]:
*ohne Malta und Zypern
Sowohl Deutschland als Land mit moderater Staatsverschuldung (2010: 44,40%[1], Platz 17 in der OECD), als auch Japan als OECD-Spitzenreiter bei der Staatsverschuldung haben seit 2003 einen Leistungsbilanzüberschuss von 150 bis 250 Mrd$. Wenn in Japan der Staat dennoch hoch verschuldet ist, muss der Überschuss entsprechend an die privaten Haushalte geflossen sein, die wie man häufig hört auch den Großteil der japanischen Staatsverschuldung tragen. Den Japanern geht es im Schnitt also trotz der hohen Staatsverschuldung wirtschaftliche entsprechend gut.
Griechenland hingegen hat seit 2003 durchgehend Defizite um die 10% der BIP. Und die Deutschen sind der Griechen größter Handelspartner[2]. Spielen wir ein kleines Gedankenexperiment durch, bei dem es nur Griechenland und Deutschland gibt. Die Griechen konsumieren bei uns eine große Menge an Gütern. Die meisten Griechen bekommen als Beamte ihr Geld vom Staat, der muss dafür Schulden aufnehmen. Da die Deutschen immer der Nettoexporteur sind und die Griechen immer der Nettoimporteur, geht dieses Spiel solange weiter bis Griechenland pleite ist. Die griechischen Beamten müssen Gehaltseinbußen hinnehmen und es geht ihnen wirtschaftlich schlechter.
Warum Deutschland die Zeche zahlen muss
Kurzfristig müssen wir uns jetzt die Frage stellen, wie wir bankrotte Staaten wieder liquide kriegen. Bei allen derzeit diskutierten Alternativen ist Deutschland als Nettoexporteur in der Eurozone eine der draufzahlenden Nationen. Bei den Eurobonds müsste Deutschland höhere Zinsen zahlen um das Risiko für andere Eurostaaten mitzutragen. Über den ESM finanziert Deutschland zinsgünstige Kredite mit. Und würde die EZB entgegen ihrer eigentlichen Zielvorgabe (Geldwertstabilität) frisches Geld ausgeben (z.B. durch Kauf von Staatsanleihen), dann erhöht sich die Inflation, was unser durch jahrelangen Exportüberschuss erspartes Geld auffrisst.
Diese Lösungen können auch gar nicht funktionieren, ohne das Deutschland draufzahlt. Deutschland ist Europas größte Volkswirtschaft, und vor allem durch Deutschland wird die Eurozone als ganzes ein Nettoexporteur, was uns zumindest die missliche Lage der USA erspart, die den Staatsbankrott durch ihre Schuldenpolitik derzeit nur hinauszögern[3]. Aber wenn sich das Geld in der Eurozone in Deutschland ansammelt, dann kann nur von dort auch wieder Geld in den Kreislauf gehen, sei es eben direkt durch Transferzahlungen oder indirekt durch Inflation.
Und hier gilt es für uns Deutsche uns von einem Mythos zu verabschieden: dem Ziel des Exportweltmeisters. Nicht selten wird der deutsche Export in den Medien als Stütze der deutschen Wirtschaft gelobt. Aber ein Nettoexport ist nur dann etwas gutes, wenn irgendwann auch ein Nettoimport folgt. Geld zu verdienen bringt nur dann etwas, wenn man es wieder für etwas ausgeben kann. Entweder kaufen wir davon Waren und Dienstleistungen oder wir müssen es als Transferzahlungen leisten um Pleitestaaten wieder liquide zu machen.
Interessant könnten tatsächlich Ansätze sein, die Transferzahlungen durch Konsum ersetzen, also z.B. Griechenlandurlaubsgutscheine für Deutsche Staatsbürger statt Geldzahlungen an den griechischen Staat (plakativ gesprochen). Die Ausgestaltung für so etwas könnte sich aber als denkbar schwer erweisen und sprengt den Rahmen dieses Artikels.
Die langfristige Lösung: Europa muss zusammenwachsen
Entgegen der Forderungen von Söder halte ich es für ein fatales Signal Pleitestaaten aus der Eurozone zu werfen. Nicht nur ist es ein Niederschlag für die europäische Einigung, es transportiert auch ganz klar: Wer wirtschaftlich nicht mithalten kann fliegt. Wenn wir in Deutschland bisher so gehandelt hätten, dann hätten wir sicher keine 16 Bundesländer mehr. Der Länderfinanzausgleich ist aber – abgesehen von einigen radikalen Politikern[4] – weitläufig akzeptiert. Dies liegt vor allem daran, dass in Deutschland für alle – zumindest im Großen und Ganzen – gleiche Rahmenbedingungen gelten. Man kann es den Deutschen aber kaum verübeln, dass sie ein Problem damit haben, dass sie – plakativ gesprochen – bis 67 Schuften sollen, um anderen Eurostaaten die Rente mit 60 zu finanzieren.
Auch für die Eurozone (und eigentlich die ganze EU) brauchen wir eine Anpassung der Rahmenbedingungen. Nicht nur würden Transferzahlungen so mehr Akzeptanz finden, es könnte auch die wirtschaftliche Leistung der schwachen Länder anheben. Man darf dabei nur nicht Gefahr laufen, dem Fehlschluss »am deutschen Wesen soll der Euro genesen« zu verfallen. Es sind Zugeständnisse von beiden Seiten notwendig. Zwar ist es nur recht und billig von allen Staaten zu verlangen, dass sie die Menge an Gütern die sie konsumieren nach Möglichkeit auch zu produzieren, aber auch wir werden unsere Exportweltmeistermentalität ablegen müssen, was durchaus Einschnitte bedeuten kann, z.B. Verlust von Arbeitsplätzen.
Als Instrument um aus der Bredouille zu kommen könnte sich da ein gesamteuropäisches Grundeinkommen eignen. Das in diesem Artikel zu erörtern geht allerdings jetzt etwas zu weit. Vielleicht kann einer unserer Grundeinkommensexperten die Auswirkung eines gesamteuropäischen Grundeinkommens auf das außenwirtschaftliche Gleichgewicht innerhalb der EU mal durchkauen, sonst muss ich euch auf ein anderes mal vertrösten. Wie man es auch immer anstellt, wichtig ist, dass das gerade wir Deutschen genau dieses Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts, das so vollmundig im »magischen Viereck« steht, endlich mal ernsthaft angehen.
[3] Was passiert, wenn in einer ehemaligen Supermacht mit riesigem Militärapparat, die ihre Wirtschaft durch radikalen Laissez-Faire-Liberalismus an die Wand gefahren hat, griechische Zustände einziehen, will sich glaub ich keiner von uns ausmalen.
[4] Pun intended
5 Kommentare
2012-08-14 um 9:40 am
sascha242
Schöne Zusammenfassung, ich vermisse nur den Aspekt „Lohnzurückhaltung“ und Lohnstückkosten. Und dass wir in den nächsten Jahren hohe Lohnabschlüsse brauchen …. siehe auch http://www.flassbeck.de/pdf/2005/8.11.2005/Die%20deutschen%20Lohnst%FCckkosten.pdf
2012-08-14 um 10:32 am
Spinni
Im Prinzip hast du recht, insbesondere was die Schlußfolgerungen, aber ein paar Anmerkungen habe ich noch, da sie das Bild ein bisschen zu schief machen:
1. Die Staatsschulden sind nicht der Auslöser der Krise sondern ihre Folge. Der Crash der Immobilienmärkte (Spekulationskrise)und die darauf folgende „Bankenrettung“ und die durchaus sinnvollen Konjukturpakete haben erst zu den astronomisch hohen Staatsschulden geführt. Griechenland hatte zwar schon immer hohe Schulden, aber zumindest waren die stabil. Deshalb haben wir im Grunde auch keine Schuldenkrise und auch keine Eurokrise. Das kann man gar nicht oft genug wiederholen, Ursache und Wirkung sollten nicht verwechselt werden.
2. Griechenland hatte 2008 gerade mal 7,9% der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, das ist unter dem OECD-Durchschnitt (15%). [1] Griechenland hat unbestritten Probleme in der Verwaltung, aber eine übermäßige Anzahl an Staatsdienern ist es nicht. Eher im Gegenteil.
Die von sascha242 angemerkte Aufgabe der Lohnzurückhaltung ist auch ein sehr wichtiger Punkt und würde sowohl den deutschen Bürgern wie auch allen anderen helfen.
Was außerdem noch fehlt, ist der Punkt Finanzmarktregulierung und Reformierung des Prinzips Ratingagenturen.
Und was man vielleicht auch noch betonen muss: Die Lösung der Krise wird nicht kurzfristig gehen, sondern nur über eine Zeitraum von 15 bis 20 Jahren. Und es wird wirklich nur gehen, wenn es eine gemeinsame Steuer- und Wirtschaftspolitik gibt.
[1] http://www.oecd.org/dataoecd/60/3/48214177.pdf
2012-08-27 um 3:47 pm
Wirdbald
Na dann wird ja jetzt alles gut mit Grieschenland:
http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-08/griechenland-export-import
2012-10-19 um 10:41 am
Mat11001
Ein gesamteuropäisches Grundeinkommen halte ich für den ersten Schritt vor dem zweiten gemacht. Erst müsste das BGE überhaupt einmal in Deutschland eingeführt werden.
Zudem bräuchte es dafür zuerst einen europäischen Zentralstaat und eine politische Union, womit das Ganze dann sowieso Sache gesamteuropäischer Parteien wäre.
2012-10-19 um 12:00 pm
Mat11001
*sigh* Ich meinte natürlich „den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht“.