Die Erklärungsversuche über das schlechte Abschneiden bei der Niedersachsenwahl stapeln sich so langsam in den Blogs der Piraten. Ich fragte mich gestern den ganzen Tag, ob ich auch meinen Senf dazugeben soll oder ob es besser ist einfach mal die Klappe zu halten. Doch manchmal komme ich einfach nicht darum herum, mir ein paar Dinge von der Seele zu schreiben. Ich will keine Rettungsaktion starten und keinen Masterplan verkünden, das will ich mir nicht anmaßen. Aber ich will die Situation beschreiben, wie ich sie in diesen Tagen erlebe.
Das Wahlergebnis in Niedersachsen hat mich vor allem eins gelehrt: Demut. Bis vor kurzem noch war ich unerschütterlich optimistisch, dass unsere Ideen und Ziele nach dem Durchbruch 2011/12 endlich bei den Menschen im Land ankamen. Das aktuelle Tief war für mich nur eine weitere Phase im Schweinezyklus. Mein Ich vor einer Woche kommt mir jetzt naiver vor, als mein Ich vor 10 Jahren.
Es muss sich etwas ändern, soviel ist klar. Aber was? Ich muss gestehen, ich war gestern ziemlich ratlos bei der Frage nach einer geeigneten Strategie. Wir haben Transparenz angeboten und nun hauen uns alle für jedes bisschen Zwist, was man irgendwo in einer Vorstandssitzung raushören kann. Alle™ haben gesagt, wir hätten zu wenig Programm, also haben wir Antragsbücher und Programme geschrieben, deren Dicke sämtliche Übersetzung der Bibel vor Neid erblassen lassen könnte und trotzdem gelten wir immer noch als die Amateure ohne Programm.
Ja, man kann der Berichterstattung die Schuld geben und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der »Rahmen« in den manche Berichte ein Ereignis stecken, irgendwie seltsam ist. Aber das ändert nichts daran, dass es nicht die Aufgabe Presse ist für uns Politik zu machen. Ja, manche(!) Berichte sind unfair und tendenziös, aber darüber meckern hilft nichts.
Jetzt stellt sich die Frage: Müssen wir wie die andern werden? Müssen wir unsere Diskussionen in die Hinterzimmer verlagern, damit wir keine Angriffsfläche bieten? Müssen wir große »Spitzenpolitiker« aufbauen, die den Menschen immer schön klingende, aber inhaltsleere Antworten auf alle Fragen präsentieren? Vielleicht wäre das eine Möglichkeit, aber ehrlich gesagt ist mir die Piratenpartei dafür zu schade.
Nach einem Tag kritischer Selbstanalyse möchte ich mein Ergebnis mit einem Satz zusammenfassen: Wir haben unseren breiten Arsch auf unseren Lorbeeren ausgeruht. Wir haben es verpasst uns in vielen Fragen weiterzuentwickeln.
Wir wollen Basisdemokratie, aber unsere Lösung dafür sind immer noch riesige Parteitage, auf denen pro Antrag 90 Piraten 3 Stunden am Stück diskutieren. Zwar haben wir viele Ideen, wie man das weiterentwickeln kann, aber irgendwie haben wir uns darauf beschränkt, die Ideen der anderen madig zu machen, anstatt uns zusammenzusetzen und die verschiedenen Optionen gemeinsam, mit all ihren Vor- und Nachteilen zur Debatte und Entscheidung zu stellen.
Überhaupt glaube ich, ist es nicht die Tatsache, dass bei den Piraten gestritten wird, sondern wie gestritten wird, die von den Menschen negativ quittiert wird. Das ist sicher keine neue Erkenntnis, aber der Knall sollte jetzt laut genug sein, so dass es jeder versteht. Wir können und sollen uns inhaltlich streiten, aber ohne dabei die Grenze einer gesitteten Diskussionskultur zu verlassen. Und das gilt für alle Piraten. Basisdemokratie heißt eben auch, dass alle Verantwortung tragen, nicht nur die Vorstände.
Auch was das Programm angeht, müssen wir umdenken. Es geht den Menschen nicht darum wie dick unser Programm ist oder ob wir eine Meinung zum 15-Jahres-Plan zum Erhalt der grün-weiß geringelten Breitkopfnatter haben. Es geht ihnen darum, dass wir zu wichtigen Themen Impulse setzen. Und es geht ihnen darum, dass wir auf ihre Fragen antworten und da müssen sich Funktionäre und Kandidaten auch mal etwas mehr aus dem Fenster lehnen als »dazu haben wir noch keine Meinung«, SMV hin oder her. Es gibt viele, denen ich zutraue dabei das richtige Augenmaß zu behalten.
Ansonsten gilt es, das auszubauen wo wir wirklich Kompetenzen haben und es zu kommunizieren. Wenn man mal vom Urheberrecht absieht, ist uns das noch viel zu selten gelungen. Wir können nicht davon ausgehen, dass jeder unsere Position zu Nebeneinkünften kennt, sondern müssen das aktiv kommunizieren, wieder und wieder.
Zusammengefasst glaube ich, dass wie die andern zu werden keine gute Idee ist. Weder will ich das, noch wird es uns weiter bringen Grüne/Linke/FDP mit Internetanschluss zu sein. Ich glaube wir müssen bei den Themen und den Strukturen, die uns auszeichnen jetzt endlich einen Schritt nach vorn wagen. Denn wenn wir die Bundestagswahl dieses Jahr in den Sand setzen, dauert es nicht lange und die Vorratsdatenspeicherung steht wieder am Start und ab dann geht es bergab. Wir haben nur diese eine Chance, wenn wir sie nicht nutzen, wird niemand anderes unsere Aufgabe erfüllen.
4 Kommentare
2013-01-22 um 4:07 pm
kubi
Du sprichst mir aus der Seele. Danke
2013-01-22 um 4:44 pm
kopfzutisch
Mit allem Respekt, Andi, du denkst viel zu kompliziert. Aus meinem eigenen Umfeld weiß ich dass das Programm der Piraten im wesentlichen uninteressant ist. Tatsächlich spielt es keine Rolle wie dick oder dünn es ist. Man muss sich vor Augen halten, worüber die Presse so berichtet, was beim Wähler ankommt und hängen bleibt. Da bleibt nicht hängen, dass der LV Bayern den erfolgreichsten (gemessen an diskutierten und abgestimmten Programmpunkten) Landesparteitag hatten. Es bleibt hängen dass ein seltsam gekleideter Typ bei Jauch auf der Couch saß, mit Sandalen ohne Socken, der gleiche Typ die Mär von der Maus Frederick erzählt hat, und hängenblieb, dass man sowas nicht wählen kann. Würde ich auch nicht. Da bleiben die Ideale der Piraten aussen vor.
Es bleibt hängen, dass es eine Handvoll Trolls in NDS geschafft hat, fast einen LV zum Zusammenstürzen zu bringen, weil wir es nicht fertig bringen diese aus der Partei zu werfen.
Es bleibt hängen dass man antwortet „Dazu haben wir keine Meinung“ – und nicht „Wie können Sie erwarten dass wir als Politikneulinge ein so komplexes Thema wie den Euro neu bewerten, wenn es diese Regierung mit all ihren gekauften Experten nicht schafft?“
Politik kommt beim Wähler halt leider auf Dschungelcampniveau an (auch dank der Presse), und nicht auf Alpha Centauri Niveau.
Man hat es versäumt Ponader frühzeitig Grenzen zu setzen, frühzeitig klare Stellung zu den Trolls zu beziehen. Das Teflon Gehabe von Schlömer funktioniert nur wenn man an der macht wie Mutti ist.
Auch „Funktionäre“ die behaupten die Piraten seien eine linke Partei hätte man frühzeitig zurechtweisen müssen. Dass der Wähler keine linke Partei wählen will, sieht man an dem Ergebnis NDS.
Denkt weniger wissenschaftlich, weniger politisch – denkt auf Dschungelcampniveau. Und da fliegt der Troll halt raus.
2013-01-22 um 9:06 pm
Sibylle Ringlstetter
Ich würd einfachmal die Grafik der Entwicklung der Partei vor der Berlinwahl und nach der Berlinwahl anschauen, und mit welche Inhalte die Partei nach oben brachten und Nichwähler ansprach. Eine zusätzliche langweilige Partei für Besserverdiendende erübrigt sich.Wäh
Die Partei sollte sich entscheiden ob sie diesen Weg weiter gehen will. Viele potentielle Wähler warten darauf.
2013-02-03 um 1:57 am
JustThomas (@_JustThomas)
Das kann man prinzipiell machen, aber man muss sehr, sehr vorsichtig sein. Denn die Inhalte, die einem dann durch den Kopf schwirren, sind womöglich nicht das, was beim Wähler angekommen ist.
Nach Berlin haben die Medien die Piraten als rebellische Partei dargestellt, die (je nach Medium/Beitrag) wahlweise für Transparenz, „Kostenloskultur“ (Downloads, ÖPNV) oder Drogenfreigabe steht oder auch einfach „kein Programm“ hat. Auf jeden Fall blieb m.E. der Eindruck hängen. „Die sind anders und bringen frischen Wind in die Parlamente.“
Ich denke, wenn man sich bei der Analyse auf die Inhalte beschränkt, übersieht man vieles. Nicht die ganz konkreten Inhalte aus bestimmten Politikfeldern haben unseren Erfolg ausgemacht, sondern das Versprechen, es anders zu machen. Schluss mit Korruption und Hinterzimmerpolitik! Mehr Mitbestimmung der Bürger! Das ist es m.E., worauf viele Menschen eigentlich seit Jahren warten.
Und, was man auch auf gar keinen Fall vergessen darf: Wir hatten mit Marina Weisband jemanden, der uns exzellent nach außen vertreten konnte und uns viele Sympathien eingebracht hat. Die aktuellen Bundesvorstandsmitglieder können das bei Weitem nicht so gut. Ich will ihnen das gar nicht zum Vorwurf machen – ich könnte das auch nicht besser. Trotzdem: Es macht einen großen Unterschied, wer Inhalte nach außen vertritt und wie.
Eines muss uns nämlich klar sein: Kein Mensch (bzw. ein verschwindend geringer Teil) liest Wahlprogramme! Wir müssen unsere Themen über die Medien und über Infostände an die Leute herantragen. D.h. wir müssen Akzente setzen und wir brauchen jemanden, der uns in Interviews gut vertreten kann.