Eine Vielzahl von Werbeaufklebern von Prostituierten in einer roten Londoner TelefonzellenDie Emma hat vor geraumer Zeit einen Appell gegen Prostitution veröffentlicht. Dass die Namen unter diesem Appell jetzt nicht unbedingt zu den Fachleuten zählen, sondern zu den üblichen Politikern, »Forschern« und Prominenten, die schon ein paar mal durch ungesundes Halbwissen aufgefallen sind, tut der Sache keinen Abbruch. Die Debatte läuft in den Medien. Doch ist es wirklich eine Debatte über Prostitution?

Je länger ich mir nun die Meinungen, die in dieser Sache durch das Netz laufen zu Gemüte führe, umso mehr habe ich den Eindruck es handelt sich dabei um eine Stellvertreterdebatte, eine Stellvertreterdebatte um den Stellenwert von Sex. Das so vielfach kritisierte Prostitutionsgesetz beschreibt eine Vorstellung von Sex, die mit zwei anderen Vorstellung massiv kollidiert.

Auf der einen Seite ist da das erzkonservative Sex-Paradigma, dass am offensten von der US-amerikanischen Tea-Party-Bewegung vertreten wird, aber auch in Europa und Deutschland seine Fans hat. Der Comedian Bill Maher beschreibt es sehr treffend als: »Sex is for procreation, not for recreation« (grob übersetzt: Sex ist zur Fortpflanzung und keine Freizeitbeschäftigung). Laut dieser Ansicht ist Sex von Grunde auf etwas schmutziges, das höchstens dadurch, dass es in einer lebenslangen Zweier-Beziehung mit grundsätzlicher – oder gar konkreter – Zeugungsabsicht (Ehe) praktiziert wird gereinigt werden kann. Deswegen ist homosexueller oder nicht-monogamer Geschlechtsverkehr in diesem Kontext auch vollkommen inakzeptabel.

Auf der anderen Seite haben wir das genderfeministische Sex-Paradigma, in dem (heterosexueller) Geschlechtsverkehr eher mit Macht und Gewalt in Verbindung gebracht wird, als mit Spaß. Nicht selten wird dabei ein Frauenbild gezeichnet, in dem Frauen beim Sex stets nur Objekt männlicher Begierde sind und nie Subjekt ihrer eigenen Wünsche. Vermeintliche Machtstrukturen sorgen dann dafür, dass Frauen überhaupt nicht in der Lage sein können, selbstbestimmt über das Darbieten sexueller Dienstleistungen zu entscheiden.

Bevor jetzt die große Empörungswelle anrollt: Ich will damit nicht sagen, dass alle Konservativen bzw. alle Feministen diesen Paradigmen folgen. Einige Konservative (gerade libertäre) und sehr viele Feministen (Stichwort: sex-positiver Feminismus) vertreten hier sehr pragmatische und progressive Ansichten. Und dennoch ist es bezeichnend, dass mit Alice Schwarzer Deutschlands konservativste Feministin eine Debatte losgetreten hat, in der ernsthaft Sätze wie »Frauen wie Pizza zu kaufen ist unnormal« fallen.

Wer versucht die Ablehnung der Prostitution damit zu begründen, dass es per se böse ist, wenn Frauen (die zugegeben in der Minderheit befindlichen männlichen Prostituierten scheinen in der Debatte ja egal zu sein) sexuelle Dienstleistungen gegen Geld anbieten, ist verlogen. Die gleichen Leute lassen die Berufsehre von Kampfsportlern, die sich zu unserem Vergnügen auf die Fresse hauen und Soldaten, auf die für unsere »Sicherheit« geschossen wird, vollkommen unangetastet. Von Bauarbeitern, die sich mit 55 ihren Körper aufgearbeitet haben oder Reinigungskräften, die anderer Leute Kot und Erbrochenes aufwischen ganz zu schweigen. Gerade bei letzteren ist die Kritik – zu Recht – dass diese Menschen zu wenig für diese Arbeit verdienen, aber niemand käme auf die Idee den Berufsstand der Reinigungskräfte an sich verbieten zu wollen.

Also hört endlich auf euer Problem, dass andere Menschen Sex zum Vergnügen oder gar – Gott bewahre – bezahltem Vergnügen haben, damit kaschieren zu wollen, dass ihr die Sexarbeiter (gegen ihren Willen) schützen wollt. Denn nicht legale, staatlich kontrollierte Bordelle beuten die Sexarbeiter aus, sondern illegale. Und ihr könnt noch so oft erzählen, dass ihr die Freier verfolgen wollt und nicht die Sexarbeiter, aber das ist egal wenn letztere von ihrem Zuhälter, den sie brauchen weil ihr ihnen mit dem Prostitutionsgesetz die Rechtsgrundlage genommen habt ihren Lohn gerichtlich einzuklagen, ausgebeutet werden. So viel Ehrlichkeit kann man doch wenigstens verlangen.

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