tl;dr Politiker aus jeder Ecke biegen sich gerne den Rechtsstaatsbegriff so hin, wie es ihnen passt und verkehren ihn damit ins Gegenteil.

Die Linken könnten in Thüringen erstmals einen Ministerpräsidenten stellen, aber legen sich gerade selber Steine in den Weg, weil sie sich darüber streiten, ob man die DDR als Unrechtsstaat bezeichnen darf. Dies löste nun in meiner Twitter-Timeline eine Debatte über den Begriff des Unrechtsstaats aus. Und wenn man mal davon absieht, dass einige damit wohl tatsächlich versuchen, die SED-Diktatur zu relativieren (was ich jetzt nicht so prickelnd finde), stellt sich natürlich die Frage: was ist ein Unrechtsstaat?

Die Wikipedia gibt an dieser Stelle eine simple Erklärung:

Unrechtsstaat ist eine abwertend gebrauchte Bezeichnung für einen Staat, der kein Rechtsstaat ist. Es handelt sich hierbei nicht um einen juristischen, sondern um einen politischen Begriff.

Der letzte Satz ist hier erst mal wichtig, wir sind also auf einer politischen und nicht auf einer juristischen (oder akademischen) Ebene. Wir sagen also alles was kein Rechtsstaat ist, ist ein Unrechtsstaat und weil wir Rechtsstaaten halt gut finden, sagen wir damit auch, dass wir Unrechtsstaaten schlecht finden. Der Unrechtsstaat definiert sich also nicht darüber, was er ist, sondern was er nicht ist (ein Rechtsstaat).

Darüber was wiederum einen Rechtsstaat ausmacht, gibt es umfassende akademische Diskussion, aber im politischen Kontext lässt sich das Rechtsstaatsprinzip auf einen wichtigen Punkt konzentrieren: Der Staat steht nicht über dem Gesetz. Ganz im Gegenteil ist staatliches Handeln im Rechtsstaat an Gesetze gebunden, insbesondere an Gesetze, welche die Freiheitsrechte des Einzelnen vor staatlichem Handeln schützen.

Leider scheint dieser Begriff in den politischen Debatten der letzten Jahre immer weiter ausgehöhlt worden zu sein. So las ich in der aktuellen Debatte seltsame Begründung, warum die DDR kein Unrechtsstaat gewesen sein soll. So sagte zum Beispiel Gregor Gysi:

Wenn ich die DDR als Unrechtsstaat bezeichne, dann erkläre ich, dass die drei Westmächte das Recht hatten, die Bundesrepublik zu gründen, die Sowjetunion aber als Antwort nicht das Recht hatte, die DDR zu gründen.

Er geht also gar nicht erst darauf ein, ob die DDR ein Rechtsstaat war oder nicht, sondern wirft eine Nebelkerze in die Richtung, ob die Gründung der DDR rechtens war oder nicht.

Noch schlimmer finde ich die Begründungen die den Tenor »Natürlich gab es Unrecht, aber nicht alles war Unrecht« unterstützen. Sie definieren den Unrechtsstaat also dahingehend, dass alles was er tut unrecht (wie auch immer man das definiert) sein muss. Und auch wenn man hier sagen kann, dass die Definition von »Unrechtsstaat« hier eine andere ist, als Replik auf die aktuelle Situation erinnert das Ganze viel zu sehr an die »im 3. Reich war ja auch nicht alles schlecht«-Argumentation mancher rechten.[1]

Andere wiederum argumentieren, dass die DDR kein Unrechtsstaat gewesen sei, weil sie ein funktionierendes Rechtssystem gehabt habe, das in vielen Bereichen (gerade den politisch unverfänglichen) auch unseren heutigen Ansprüchen genügen würde. Diese Definition macht in einem rechtshistorischen Seminar vielleicht Sinn, aber nicht in einer politischen Debatte. Auch in schlimmen Diktaturen gibt es funktionierende Rechtssysteme, die in vielen Zivilsachen bestimmt auch super funktionieren, aber das reicht sicher nicht an unsere Anforderungen an einen Rechtsstaat.

Der entscheidende Punkt ist: die DDR war ein System das von Willkür, Unfreiheit und Diktatur geprägt war und damit sicher kein Rechtsstaat. Und ein solches System darf man, ja muss man vielleicht sogar zurecht auch abwertend als Unrechtsstaat bezeichnen.

Jetzt ist es aber nicht so, dass die Verwässerung des (politischen) Rechtsstaatsbegriffs, erst seit der Debatte über die DDR als Unrechtsstaat stattfindet. Vielleicht war der eigentliche Grund, warum mir dieser Blogpost so unter den Nägeln brannte, dass sich viele Konservative den Rechtsstaatsbegriff schon lange so zurecht biegen, wie es Ihnen passt. In den Debatten um Bürgerrechte, Überwachung und Rechtsdurchsetzung setzen sich schon seit Jahren konservative Politiker in Talkshows und reden immer dann vom Rechtsstaat, wenn es darum geht möglichst viele Gesetzesbrecher zu verurteilen. Sie definieren den Rechtsstaat dahingehend, dass der Staat das Recht – insbesondere das Strafrecht – möglichst effizient und effektiv gegenüber einzelnen Gesetzesbrechern durchsetzt.

Damit verkehren Sie den Rechtsstaatsbegriff vollständig ins Gegenteil. Denn wenn staatliche Ermittlungsbehörden die Bevölkerung im Geheimen auf Schritt und Tritt ausspionieren, dann entzieht der Staat dem einzelnen die Möglichkeit seine Rechte wahrzunehmen. Mit kaum einem Instrument unterhalb der offenen Willkür bricht die Politik so vehement das Rechtsstaatsprinzip wie mit der geheimen, flächendeckenden Überwachung der Bevölkerung, die wir gerade erleben.

Und so ist es gerade in dieser Zeit, besonders wichtig, dass wir uns wieder auf den Kern des Rechtsstaatsprinzip zurück besinnen und aufhören, diesen Begriff zu verwässern. Denn wenn wir ihn immer umdeuten und als Totschlag-Argument gebrauchen, wenn es uns gerade passt, dann laufen wir Gefahr morgen nicht mehr in einem Rechtsstaat aufzuwachen.


[1] Man verzeihe mir an dieser Stelle den Godwin, aber wenn man von Unrechtsstaaten spricht, ist das 3. Reich halt irgendwo naheliegend und wohl einer der wenigen klaren akzeptierten Fälle.

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