Stephan Urbach hat mit seinem Aufruf Nazi-Propaganda zu löschen und der Kritik an Udo Vetter wegen seines Mandats für »besseres Hannover« für reichlich Furore gesorgt. Heute hat er unter dem Titel »Rechtsstaat, Meinungsfreiheit und ich« seine Position noch einmal genauer erläutert und ich denke das ist eine Gelegenheit diese beiden Fragen noch einmal sachlich zu erörtern. Lest Stephans Blogpost und dann ran an meine Replik.

Die Sache mit der Meinungsfreiheit

Grundsätzlich kann ich Stephan durchaus recht geben wenn er sagt, dass ein Plattformbetreiber nicht jede Meinungsäußerung tolerieren muss. Viel zu häufig schreien Leute »Zensur!« wenn irgendwo Kommentare moderiert oder anstößige Inhalte entfernt werden und verharmlosen damit echte Zensur. Hier sieht man ein meiner Meinung nach falsches Verständnis der Meinungsfreiheit. Wenn jemand z.B. eine Webseite, ein Forum oder ein Blog betreibt, dann ist es sein gutes Recht, bestimmte Meinungen auf seiner Seite nicht zu akzeptieren. Stephan verlangt nun unter anderem auch von Twitter von diesem Recht Gebrauch zu machen und hier habe ich ehrlich gesagt meine Bedenken.

Bestimmte Dienste im Internet haben ein Quasi-Monopol, z.B. ebay bei Auktionen, Paypal bei Zahlungsdienstleistungen, Facebook bei allgemeinen Social-Media-Diensten und Twitter eben bei Microblogging. Während Blogs, Foren und Webseiten dezentrale Strukturen sind, sind diese Dienste sehr stark auf einen bestimmten Anbieter konzentriert. Jeder den ich hier auf meinem Blog nicht kommentieren lasse, hat die Möglichkeit sein eigenes Blog zu eröffnen. Aber wenn ich jemanden aus Twitter werfe, dann hab ich ihn faktisch aus einem der wichtigsten politischen Kommunikationsmedien geworfen. Und hier muss man sich fragen, wo der Dammbruch beginnt. Wie weit ist es von »Twitter soll Nazis aussperren« zu »Twitter sperrt Wikileaks aus«? Wären wir noch glaubwürdig wenn wir dagegen protestieren, dass Paypal Wikileaks den Hahn zugedreht hat, aber fordern, dass sie bitte Nazis ihre Accounts sperren?

Natürlich wäre das alles kein Problem, wenn wir schöne unabhängige dezentrale Strukturen für diese Dienste hätten, die sich wie im guten alten WWW im wesentlichen über Links verbinden. Aber solange diese Plattformen ihr Quasi-Monopol behalten, muss man hier meiner Meinung nach höhere Hürden der Meinungsfreiheit aufrecht halten, wenn auch nicht unbegrenzte (Mordaufrufe muss zum Beispiel niemand dulden).

Das Politiker-Anwalt-Dilemma

Es ist durchaus eine interessante Frage wie weit ein Anwalt sich der politischen Dimension seiner Mandate entziehen kann. Auch hier kann ich Stephan zustimmen, dass der Rechtsstaat sicher erst mal nicht nur allein deswegen über den Jordan geht, weil ein Anwalt bestimmte Mandate aus politischen Gründen ablehnt. Ich glaube es gibt genug Anwälte in Deutschland. Die Frage, ob man es wirklich von ihnen verlangen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Was nicht passieren darf ist, dass wir irgendwie in die Denke kommen, dass ein Anwalt sich der Sache seiner Mandanten gemein macht. Das wäre für den Rechtsstaat tatsächlich fatal, welcher Anwalt möchte sich schon mit Nazis, Vergewaltigern, Kinderschändern und Mördern auf eine Stufe stellen lassen? Bestenfalls sogenannte »Szene-Anwälte« wären dafür noch zu haben und dann kommen wir in eine schlechte Situation. An wen wendet sich z.B. jemand, der sich dem Vorwurf er wäre ein Nazi explizit erwehren will? Jürgen Rieger wäre sicher keine gute Option gewesen. Aus diesem Grund halte ich alle Anwälte, die ihre politischen Ansichten bei ihrer juristischen Arbeit hinten anstellen, zumindest für einen Gewinn für den Rechtsstaat.

Jetzt ist die Frage, ob wir von einem Anwalt, der politisch aktiv ist, explizit verlangen können, bestimmte Mandate aus politischen Gründen abzulegen. Ich glaube man kann das nicht, ohne mit dem Grundsatz, dass ein Anwalt sich nicht allein durch ein Mandat mit einer Sache gemein macht zu brechen. Aber auf der anderen Seite wären wir sicher alle schockiert, wenn ein Pirat plötzlich die Verteidigung der NPD bei einem Verbotsverfahren übernehmen würde, wie in einem Gedankenspiel von Harryliebs beschrieben. Vielleicht kann man diese Frage nicht pauschal beantworten, sondern muss im Einzelfall entscheiden.

Gleichzeitig Anwalt und Politiker zu sein, kann manchmal zum Drahtseilakt werden. Ich denke aber das Udo Vetter im aktuellen Fall über jeden Zweifel erhaben ist und sich nicht vorwerfen lassen muss, er würde mit Nazis sympathisieren. Und er hat wenn ich mich recht erinnere auch schon angekündigt, seine Anwaltstätigkeit im Fall der Fälle als MdB ruhen zu lassen. Ist vielleicht nicht die schlechteste Entscheidung. Das mit den Nebeneinkünften hat ja auch manchmal einen faden Beigeschmack.