Piraten_CopyrightEs hat etwas gedauert, aber ich begrüße euch herzlich zur virtuellen Vorlesung „Piratenphilosophie für Anfänger: Teil 2“ (s.a. Teil 1). Dieses Mal wird es in der Tat etwas theoretisch. Während ihr alle jetzt Ricks Techtalk gesehen habt und euch über die Konflikte des Urheberrechts im Klaren seid, werden wir mal ausnahmsweise etwas abstrakter, so dass es zu einer geradezu inflationären Verwendung des Wortes „Prinzip“ kommen wird. Heute geht es um Eigentum, genauer gesagt um den Begriff des „Geistigen Eigentums“. Hier vorweg nochmal der übliche Disclaimer: Ich bin Politiker und kein Anwalt. Mir ist der rechtliche Begriff des Eigentums sehr wohl klar, aber um den geht es hier nicht. Genauso geht es auch diesmal nicht um die wirtschaftspolitische Frage, also das übliche „Und wie soll ich dann mein Geld verdienen?“, diese kommt erst im nächsten Teil, also habt da bitte noch etwas Geduld, auch wenn ich derzeit nicht so produktiv bin.

Karl Popper sagte einmal (man verzeihe mir das grobe Zitieren):

Jeder Mensch ist ein Philosoph. Zumindest hat jeder Mensch philosophische Vorurteile, die ihm anerzogen wurden.

Ein solches Vorurteil ist „Geistiges Eigentum“. Ich bin damit aufgewachsen, die meisten von euch sind es auch. Als ich selbst noch kein Pirat war und die Entwicklung der Partei verfolgte, war es immer ihre Einstellung zum diesem Thema, die mich abgehalten hat aktiv zu werden. Ich fand die Killlerschach-Aktion zwar super und die GEZ-Kritik ist bei mir immer noch hoch im Kurs, aber dieses eine Thema machte es mir schwierig. Erst als ich Ricks Techtalk sah und angefangen habe, die Idee vom geistigen Eigentum in Frage zu stellen, war ich bereit mich selbst zu engagieren. Ich denke, dass das genau einer der Schritte ist, den jeder auf dem Weg zum Piraten machen muss. Für wen das Prinzip vom „Geistigem Eigentum“ eine in Stein gemeißelte Prämisse ist, der wird sich nie mit der Politik der Piraten anfreunden. Wer dagegen bereit ist, es zu hinterfragen, der hat den ersten Schritt gemacht.

Knappheit

Um uns an die Ursprünge des Eigentumsprinzips heranzutasten, müssen wir zuerst das Prinzip der Knappheit betrachten. Da ich, trotz der aktuellen und durchaus angebrachten Kritik, die Wikipedia sehr schätze, möchte ich hier diese auch bei der Frage nach der Knappheit zitieren:

Knappheit liegt vor, wenn ein materielles oder ideelles Gut in geringerer Menge vorhanden ist, als man seiner bedarf.

Man kann sich die Frage nach der Knappheit eigentlich ganz einfach selbst beantworten: Würde es meine Nutzung eines Gutes beeinträchtigen, wenn auch ein anderer es uneingeschränkt nutzen kann? Das ist meist der Fall. Wenn jemand anderes mit „meinem“ Auto hinfährt wo er will, kann ich nicht mehr hinfahren wo ich will. Ein gutes Beispiel für ein nicht knappes Gut ist die Luft: Wir alle atmen sie und es stört niemanden wenn die anderen mitatmen.

Ein weiteres nicht knappes Gut sind Daten. Daten sind nicht mehr als Zahlen. Jede Datei in eurem Computer ist nur eine große Zahl, so zum Beispiel auch diese Blogseite, die ihr gerade lest. Es kommt nur darauf an, wie man sie interpretiert. Und die Zahl an sich ist nicht knapp. Ein Buchhalter kann „1618“ in seine Buchhaltung schreiben um einen Geldeingang zu erfassen, genauso kann ein Historiker, oder mehrere, damit festhalten in welchem Jahr der Prager Fenstersturz war. Eben genauso wenig knapp sind etwa Texte oder Audioinformationen. Klar, die Produktionsfaktoren sind knapp, etwa die Arbeit des Autors oder Komponisten, aber nicht das „Produkt“ selbst.

Bewaffnet mit diesen Definitionen, möchte ich zwei Prinzipien für das Eigentum vergleichen: Das Schaffensprinzip, mit dem die „Gegenseite“ argumentiert, und das Knappheitsprinzip, das auf dem hier genannten aufbaut.

Das Schaffensprinzip und seine Schwächen

Das Schaffensprinzip sagt folgendes aus: „Alles was ich durch meine Arbeit aus mir heraus geschaffen habe, gehört mir.“ Mit diesem Prinzip erläutern viele Urheber ihren Eigentumsanspruch an Musikstücken, Texten, Filmen oder Software. Doch folgen wir wirklich diesem Prinzip? Kann man Eigentum überhaupt auf diese Weise begründen?

Die erste Frage lässt sich sehr einfach mit „nein“ beantworten. Würde unser Eigentumsbegriff durch das Schaffensprinzip definiert, so gäbe es in unserer Gesellschaft kein Eigentum an Grundstücken. Dass kein Mensch den Boden auf dem wir uns bewegen geschaffen hat, dürfte wohl unstrittig sein.

Bei der zweiten Frage wird es schon schwieriger. Schafft der Schreiner wirklich einen Schrank oder modifiziert er nur Holz das schon da war? Noch schwerer wird es, wenn man sich wieder auf Informationen stützt. Kann man Informationen überhaupt schaffen? Wenn ich jetzt gerade diesen Text schreibe, habe ich ihn wirklich geschaffen oder war er eigentlich schon immer da und ich habe ihn nur „entdeckt“ und aufgeschrieben. Es ist die alte Frage vom Baum, der im Wald umfällt ohne dass es jemand mitbekommt, und sie ist soweit ich weiß immer noch nicht beantwortbar. Den Eigentumsbegriff auf ein solches Prinzip zu stützen dürfte zumindest fragwürdig sein.

Selbst wenn man aber diesem Prinzip folgen sollte, so hat man ein ganz anderes Problem: Kann sich ein Mensch so weit von seiner Umwelt isolieren, dass er nur aus sich heraus schaffen kann? Jeder der schöpferisch tätig ist steht auf den Schultern von Newtons berühmten Riesen. Während ich hier schreibe benutze ich nicht nur die Sprache die seit Jahrtausenden gewachsen ist und auf die ich sicher keinen Anspruch erheben kann, sondern auch das Wissen, das ich aus Büchern und Diskussionen mit anderen habe. Was jeder von uns schafft, entsteht also nicht nur aus ihm selbst, sondern aus dem Zusammenspiel seiner eigenen Gedanken mit seiner gesamten Umgebung und dem Wissen der Menschheitsgeschichte. Hier kann man nicht einem Baustein das gesamte Recht am Werk im Sinne eines Eigentumsrechts zusprechen.

Nebenbei verletzt sowohl das deutsche Urheberrecht, als auch das angelsächsische Copyright das Schaffensprinzip bereits selbst. In beiden Rechtsnormen gibt es nämlich einen Zusammenhang, den ich gerne „Privileg des Ersten“ nenne. Sobald ich diesen Text veröffentliche, habe ich Urheberrecht drauf. Wenn jemand anderes auch nur einen Auszug, der für sich genommen die sog. „Schöpfungshöhe“ erfüllt, in seinen eigenen Blog schreibt (von korrekten Zitaten mal abgesehen), so ist er ein Urheberrechtsverletzer, völlig egal ob er ihn hier abgekupfert hat oder ebenfalls selbst „aus sich heraus“ geschaffen hat.

Das Schaffensprinzip ist als Begründung von Eigentum also nicht im geringsten geeignet.

Das Knappheitsprinzip und die Wurzeln des Eigentums

Wenn also das Schaffen das Eigentum nicht bedingt, was dann? Hier kommt die oben genannte Knappheit ins Spiel. Die neoklassische Wirtschaftstheorie erklärt es am besten.

Eine erste, notwendige Voraussetzung hierfür ist das Bestehen von Knappheiten hinsichtlich von Gütern. Gäbe es keine Knappheit, sondern handelte es sich bei Gütern ausschließlich um sogenannte freie Güter, deren Verwendung durch eine Person und für einen Zweck ihre Verwendung durch eine andere Person und/oder einen anderen Zweck in keiner Weise beeinträchtigen würde, so daß im Hinblick auf ihre Verwendung keine bewußte, zwischen vorrangigen und nachrangigen Verwendungsmöglichkeiten unterscheidende (d. i. ‚ökonomische’) Wahl getroffen werden müßte, so bestünde keinerlei Notwendigkeit, das Verhältnis von Personen zu Gütern zu regeln. [1]

Mit etwas vereinfachten Worten ausgedrückt heißt dies, dass es keinen Bedarf an einer Eigentumsregelung gibt, wenn jeder das Gut beliebig verwenden kann. Dies ist das Eigentumsprinzip dem wir eigentlich alle folgen. Eine der ältesten, wenn nicht gar die älteste Eigentumsregelung ist das siebte Gebot: „Du sollst nicht stehlen!“ Da steht nichts von du sollst nicht kopieren. Das Stehlen beinhaltet genau das Problem der Knappheit. Wenn ich jemandem etwas stehle, dann nehme ich es ihm weg, sprich er hat es dann nicht mehr.

Auch das Eigentum an Grundstücken ist so erklärbar. Wenn der eine auf einem bestimmten Stück Land gerne Getreide aussäen, der andere aber lieber ein Fußballstadion hinbauen würde, dann entstehen Konflikte. Selbst wenn es unendlich viel Land auf der Welt geben würde, würde dieser Konflikt weiter bestehen, weil sich beide immer noch genau für dieses Stück Land interessieren. Um diesen Konflikt nun aufzulösen gibt es das Eigentum.

Und nach diesem Prinzip kann es kein Eigentum an Informationen geben. Das deutsche Recht kennt so etwas wie „Geistiges Eigentum“ im Sinne des grundrechtlichen Eigentums auch gar nicht. Ansonsten wäre das Auslaufen des Urheberrechtsschutzes aus Zeitgründen ja eine ungerechtfertigte Enteignung und damit verfassungswidrig.

Wer an dieser Stelle noch nicht sicher ist, ob er wirklich dem Knappheitsprinzip folgt, der soll sich einfach folgende Frage stellen: Die Antipiraterie-Organisationen sagen doch immer so schön „Sie würden doch auch keinen Porsche klauen!“ Klar, das würden wir nicht, aber was wäre, wenn wir einen Porsche einfach so kopieren könnten?

Fazit

Also „Geistiges Eigentum“ gibt es nicht wirklich, das können wir ab jetzt alle mit einem dicken „sic!“ markieren. Aber was heißt das für das Urheberrecht? Ist es überflüssig und muss abgeschafft werden? Muss der Staat die Schaffenden nun ganz alleine lassen in ihrem Versuch Geld aus ihrer Arbeit zu schlagen? Nein, soweit sind wir noch nicht, aber wie genau die Antworten auf diese Fragen aussehen, das kommt in den nächsten Teilen „Pflicht und Kür des Staates im Urheberrecht“ und „Schaffend Geld verdienen im Informationszeitalter“.

Literatur

[1] Andreas Novy und Michaela Trippl, Wirtschaftsuniversität Wien: „Wissensökonomie