Ich sitze gerade hier und hadere mit mir, ob ich diesen Blogbeitrag überhaupt schreiben soll. Zum ersten geht mir das Gezanke um Liquid Feedback derzeit gewaltig auf den Sack (mehr dazu kommt noch), zum zweiten hätte ich noch genug andere Texte die ich verfassen möchte und an denen ich viel mehr Spaß hätte und zum dritten fahre ich grundsätzlich nur ungern Vorstandskollegen öffentlichen vor den Karren. Aber ich glaube Christophers letzter Post ist eher dazu geeignet Gräben zu vertiefen, denn sie zuzuschütten, da er auf durchaus beabsichtigt polemische Weise Liquid Feedback als alternativlos darstellt. Dem ist natürlich nicht so, aus diesem Grund möchte ich einmal ganz nüchtern die wirklichen Alternativen, die mir in den Sinn kommen erläutern.

Zuerst eine kleine Systematisierung. Christopher erläutert in seinem Blog die Vorteile von Liquid Feedback gegenüber einem klassischen Delegiertensystem. Dabei macht er natürlich in meinen Augen in unserer derzeitigen Situation einen grundlegenden Fehler, da Liquid Feedback ein Meinungsbildungstool ist und ein Delegiertensystem eine Alternative zur Vollversammlung ist. Anders gesagt: Beim einen geht es um Meinungsbildung, natürlich insbesondere im Vorfeld des Bundesparteitags, beim anderen geht es um Entscheidungsfindung. Das LF schon bereits als Heilsbringer für die innerparteiliche Demokratie verkauft wird lässt ehrlich gesagt tief blicken und wird der Problematik in meinen Augen nicht im geringsten gerecht.

Aber gut, ich wollte ja systematisieren. Im Großen und Ganzen gibt es für mich drei Sachverhalte in denen man Alternativen zu LF auflisten müsste. Der erste sind Alternativen in der Entscheidungsfindung (die meiner Meinung nach unbedeutendste Diskussion, aber auch dazu später in einem anderen Blogeintrag), dann die Alternativen zur Meinungsbildung vor einem Parteitag und schließlich noch ganz simpel die Alternativen zu LF als Tool.

Alternativen zum Tool

Dieser Absatz geht ganz schnell. Je nachdem wo man LF sieht gibt es natürlich eine ganze Latte an Alternativen. Man muss natürlich auch Liquid Democracy nicht zwingend implementieren. Es wurden auch innerparteilich bereits Alternativen aufgezeigt, wie LimeSurvey-Varianten und der Piraten-Sextant. Bei I-Voting hat man grundsätzlich das Problem, der Nachvollziehbarkeit gegen die geheime Wahl. Beides gibt es nicht, das wissen wir Piraten ja schon länger, deswegen sind wir ja so strikt gegen Wahlcomputer. Diese Fragestellung hält natürlich die Debatte um LF in Atem.

Alternativen in der vorbereitenden Meinungsbildung

Oder anders ausgedrückt: Alternative Bullshitbremsen. Keiner von uns kann zum Parteitag 200 Anträge durchackern und sich dabei extensiv eine Meinung zu bilden. Mann muss also entweder die Anzahl der Anträge reduzieren oder die Reihenfolge so festlegen, dass man abschätzen kann welche behandelt werden. Das Festlegen der Reihenfolge hat natürlich den entscheidenden Nachteil, das in vielen Varianten immer noch alle Anträge von den Reihenfolgefestlegern durchgeackert werden müssen, was bedeutet dass die Entscheidung was auf dem Parteitag dran kommt der Zeitelite (in anderen Kontexten gerne „Powergamer“ genannt) vorbehalten bleibt.

Eine Alternative hatten wir bereits in der Antragsfabrik. Diese hatte allerdings genau den Nachteil, dass man alle Anträge durchackern muss und die Abstimmung im Wiki durchaus auch nicht unbedingt von Transparenz zeugt. Allerdings schienen die Ergebnisse nicht so abwegig wie man meinen würde.

Die zweite Alternative, die wir auch schon durchprobiert haben, war das Alex-Müller-Verfahren. Es legt auch die Reihenfolge fest, aber hat den Vorteil, dass man im ersten lauf nur die Anträge die einem selbst besonders wichtig sind vorbereiten muss, damit man diesen sein Kreuzchen geben kann. Es ist im Blickwinkel dieses Artikels natürlich vollkommen sinnfrei, wenn es erst auf dem Parteitag selbst durchgeführt wird. Die Gefahr ist natürlich hier ebenfalls, das Leute, die selbst keine Aktien in irgendwelchen Anträgen haben, nur nach Überschriften abstimmen, weil sie nicht alle erfassen können, wie man beim letzten Bundesparteitag gesehen hat.

Als nächstes gibt es da natürlich noch die klassische Vorabstimmung, wie sie etwa mit Liquid Feedback möglich ist. Auch hier ist man natürlich nicht davor gefeit alle Anträge durcharbeiten zu müssen, dennoch gibt LF hier die Möglichkeit der Delegation, die ein Aufteilen der Arbeit innerhalb einer Gruppe ermöglicht. Probleme haben hier natürlich immer noch die Einzelkämpfer.

Auch öfter bereits innerparteilich angesprochen wurde die Bottom-Up-Methode. Hierbei müssen Anträge den Weg der Parteitage von unten nach oben durchlaufen. Im konkreten Anwendungsfall bedeutet dies etwa, dass Landesparteitage die x% der Mitglieder repräsentieren, einen Antrag unterstützen müssen bevor er auf den BPT behandelt wird (entsprechend könnte sich das nach unten fortpflanzen). Diese Methode hat viele Vorteile. Zum einen können sich Landesparteitage auch mit Bundesthemen beschäftigen (was sie anscheinend sehr häufig wollen) zum anderen sieht man einen Antrag mehrmals und früher als wenn er erst wie ein U-Boot zum Bundesparteitag auftaucht. Auch kann man einem Antrag höhere Chancen zurechnen, wenn er sich bereits bewährt hat. Der Nachteil ist ein deutlich höherer Aufwand für die Antragssteller, auch wenn man wiederum sagen könnte „It’s not a bug, it’s a feature“.

Last but not least gibt es die Vorquoren-Methode welche typischerweise im Unterschriften sammeln liegt. Ein Antrag braucht x Unterschriften um zugelassen zu werden. Diese Methode genießt mit der offensichtlichen Ausnahme die Vorteile der Bottom-Up-Methode und ist natürlich sowohl mit dieser als auch mit anderen kompatibel. Sie ist etwa bereits in Liquid Feedback implementiert.

Sonderfälle sind natürlich in allen Methoden immer möglich.

Alternativen zur Entscheidungsfindung

Hier kommt jetzt tatsächlich auch das von Christopher erwähnte Delegiertensystem ins Spiel, aber der Reihe nach.

Die klassische Methode in diesem Problemfeld ist die Vollversammlung. Sie hat den Vorteil, dass sie einfach implementierbar ist, hat aber auch gravierende Nachteile ab einer gewissen Größe der Vereinigung. Zum einen ist ab einer gewissen Mitgliederzahl natürlich irgendwann die kritische Masse erreicht, bei der man irgendwann 10 Stunden braucht nur um einen Vorstand zu wählen. Zum anderen existiert insbesondere bei hoher geographischer Verbreitung der Organisation das Problem der Nichtrepräsentation von verhinderten Mitgliedern.

Bei allen anderen Parteien bereits implementiert ist das klassische Delegiertensystem, dass wohl jeder kennt. Das Delegiertensystem kann alle Nachteile einer Vollversammlung beseitigen, begünstigt allerdings natürlich die Entstehung einer politischen Elite. Der Vollständigkeit halber muss gesagt werden, dass die Vollversammlung als klassisches Gegenmodell zum Delegiertensystem die Entstehung einer politischen Elite ebenfalls begünstigt, nur dass sie anstatt durch Wahl durch Zeit- und Geldkapazitäten entsteht (s.a. Stichwort „Powergamer“).

Eine Zwischenlösung der beiden erst genannten Varianten ist die Direktdelegationsmethode. Dabei kann jedes Mitglied bei Verhinderung seine Stimme per Vollmacht an eine andere Person übertragen. Dies wird dem zweiten Problem der Vollversammlung Herr, aber es verkompliziert die Versammlung extrem, da eine Vielzahl verschiedener Stimmgewichte auszuzählen ist.

Als Weiterentwicklung der Direktdelegation gilt deshalb die Misch-Delegation-Methode. Es handelt sich hierbei eigentlich um ein klassisches Delegiertensystem, mit einer Opt-Out bzw. Opt-In-Klausel, d.h. jedes Mitglied kann sich grundsätzlich entscheiden, ob es am Delegiertensystem teilnimmt oder sich selbst vertritt. Die Stimmgewichte und die Anzahl der Delegierten werden entsprechend der Teilnehmer am Delegiertensystem berechnet. Bei dieser Variante gibt es also nur 2 Stimmgewichte. Nach Deutschen Recht gibt es allerdings noch rechtliche Ungereimtheiten bei dieser Variante, die wohl nur durch einen Urteilsspruch ausgeräumt werden können. Des weiteren muss erwähnt werden, dass auch diese Variante genauso wie das Direktdelegationsverfahren, dem Problem der Parteitagsexplosion nur bedingt entgegenwirken kann.

Eine komplett andere Variante ist die klassische Urabstimmung, die normalerweise per Briefwahl oder per Präsenzwahl („Wahllokale“) abgehalten wird. Sie wird heute zum Beispiel immer noch bei Gewerkschaften für Streikentscheidungen eingesetzt. Sie genießt häufig die höchste Akzeptanz bei den Mitgliedern, ist allerdings entsprechend aufwendig und kann deshalb nur in niedriger Frequenz und dementsprechend bei wichtigen Grundsatzentscheidungen zum Einsatz kommen. Dies könnte bei einer Partei bei Satzungs- und Grundsatzprogrammänderungen der Fall sein.

E-Voting in jeder Form, d.h. auch das I-Voting im speziellen, hat wie erwähnt den Nachteil, dass manipulationssichere geheime Abstimmungen nicht möglich sind und scheint deswegen grundsätzlich ungeeignet zur allgemeinen Entscheidungsfindung. Ausnahmen sind natürlich dort vorhanden wo namentliche Abstimmungen durchführbar und gewünscht sind.

Fazit

Alternativen gibt es in meinen Augen also genug. Meine Aufzählung ist sicher nicht erschöpfend. Ich möchte dem geneigten Leser allerdings in diesem Rahmen selbst überlassen, sich seine Meinung über die Alternativen zu bilden.

PS: Orthographische Redigierung entfällt diesmal aus Zeitgründen. Ich bitte meine üblichen Rechtschreibfehler die sicher zur Masse noch im Text sind zu entschuldigen.