Rund um Liquid Feedback ist bei den PIRATEN die alte Debatte zwischen Privatsphäre und Transparenz neu entflamt und wie so oft degeneriert. Bei Online-Rollenspielen gibt es das Motto »Wer besser ist als ich ist ein Freak, wer schlechter ist als ich ein Loser«, so ähnlich war mein Eindruck in dieser Deabtte: »Privatsphäre für mich, Transparenz für alle über mir«.  Ein durchaus interessanter Blog-Post von ValiDOM hat die Debatte allerdings wieder auf ein durchaus beachtlich sachliches Niveau geführt. Dennoch denke ich er macht dort einen entscheidenden Denkfehler.

ValiDOMs geht von der klassischen Prämisse in dieser Streitfrage aus: Privates in die Privatsphäre, Politik in die Transparenz. Die Grenze versucht er dadurch zu ziehen, dass er Parteimitglieder in »Privatpersonen« und »Politiker« aufteilt. Dazu greift er die Definition der Wikipedia auf.

Als Politiker wird eine Person bezeichnet, die ein politisches Amt oder ein politisches Mandat innehat. (…) Politiker agieren auf allen Ebenen eines Staates (nationale, subnationale Ebene oder Gemeinde) oder einer Partei. Politische Ämter können Regierungsämter (z. B. Minister) oder ein Amt in einer Partei (z. B. Parteivorsitzender) sein.

Und hier liegt in meinen Augen der Knackpunkt. Den Transparenzanspruch daran festzumachen, wer als Politiker deklariert wird ist ein Zirkelschluss. Ich sehe in dieser Definition genau den Gedanken, die Personen von denen man Transaparenz beansprucht als Politiker zu definieren. Wieso ich zu diesem Schluss komme wird hoffentlich im Laufe des Artikels klar.

Zuerst allerdings, möchte ich versuchen mit folgender Frage tiefer in den Kern des Problems vorzustoßen: »Wieso kann in gegenüber jemandem Transparenz beanspruchen?« Greifen wir hier doch ruhig nocheinmal die Wikipedia-Definition auf. Es ist unstrittig, dass gewählte Volksvertreter der Transparenz verpflichtet sind, die wenigsten fragen sich nur wieso. Der Grund liegt natürlich darin, dass das Volk als Souverän die Regierung mit der Ausübung seiner an den Staat abgetretenen Rechte (z.B. das Recht auf Gewaltanwendung) beauftragt. Das selbe gilt übrigens für die von der Regierung beauftragten Beamten. Deswegen ist das Argument der Privatsphäre als Widerstand gegen eine Polizistenkennzeichnung auf Uniformen auch reine Farce. Der Souverän möchte wiederum natürlich wissen was die Regierung so mit diesen Rechten anstellt, um seine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen, etwa die Regierung zu ersetzen. Deswegen hat das Volk ein Recht auf Transparenz gegenüber dem Staat und dessen Organen.

Auch noch recht unstrittig ist die Frage, dass Parteifunktionäre sich in ihrem politischen Handeln der Transparenz unterwerfen müssen. Die Begründung wird hier schon etwas komplexer, da wir hier zwischen zwei Gruppen von Stakeholdern unterscheiden müssen. Zum einen ist da die Parteibasis. Deren Transparenzanspruch leitet sich analog zum obigen Fall ab. Dann ist da allerdings auch noch das Volk, dem wir ebenfalls Transparenz zugestehen. Dieses überträgt allerdings keine Rechte auf Parteifunktionäre. Der Anspruch leitet sich vielmehr daraus ab, dass die Partei als Gruppierung Einluss auf den Staat nehmen will und ihr Verfassungsauftrag explizit darin besteht, die politische Willensbildung im Volk zu beeinflussen, welches natürlich gerne über die Motive des Beeinflussers bescheid wissen möchte.

Die entscheidende Frage, die uns nun auf unser Ausgangsproblem zurückführt, ist: Wie wird die Partei diesem Transparenzanspruch gerecht? Auf jeden Fall umfasst dies, die Transparenz der Entscheidungsprozesse. In alten Parteien werden alle wichtigen Entscheidungen von Funktionären (häufig z.B. Delegierten) getroffen. Diese sind deshalb der Transparenz verpflichtet und genau aus diesem Grund werden sie von der Wikipedia als Politiker definiert. Doch wollen die PIRATEN hier nicht anders sein? Haben wir nicht einen starken basisdemokratischen Anspruch? Wenn die Antwort darauf »ja« ist und wir uns in unserer Entscheidungsstruktur unterscheiden wollen, müssen wir uns aber auch in der Umsetzung des Transparenzanspruches unterscheiden.

Dies entspricht einem wichtigen demokratischen Grundsatz: Entscheidungskompetenz und Verantwortung (und das damit einhergehende Transparenzgebot) gehören immer zusammen. Wenn wir als Partei vom Wähler eine Stimme bekommen wollen und Einfluss auf seine politische Willensbildung nehmen wollen, dann sind wir ihm gegenüber zur Transparenz verpflichtet. Wenn wir weiterhin in unserer Partei den Anspruch haben, dass alle Parteimitglieder auf die Entscheidung direkt Einfluss nehmen dürfen, dann muss sich aber auch jedes Mitglied zumindest dort wo es von diesem Recht Gebrauch macht, etwa als stimmberechtigtes Mitglied eines Parteitags, der Transparenz unterwerfen und ist damit Politker.

Schlussendlich noch eine Kleinigkeit zum Nachdenken mit auf den Weg: Die PIRATEN sind angetreten die Poltik zu verändern. Und aus diesem Grund sollte jeder von uns die Bezeichnung »Politiker« mit Stolz für sich selbst beanspruchen, anstatt sie in Erinnerung an die verkalkten Strukturen der alten Parteien von sich zu werfen.

Self-Kommentar: Bevor hier die Interpretationen kommen, ich hätte die »totale Transparenz in Liquid Feedback« gefordert, möchte ich klarstellen, dass dieser Abschnitt nur ein sehr spezifisches Detail behandelt und nicht mehr aussagen soll, als das was dort drin steht, auch »zwischen den Zeilen«. Bevor man diese Detail in die Liquid-Feedback-Diskussion einbringen will, muss man sich zuerst Gedanken über den Stellenwert des Tools machen, was ich hier vollkommen ausgelassen habe.