Es war zweifellos eine Nachricht, die Fassungslosigkeit auslöste, als in Berlin ein Jugendlicher von 20 anderen krankenhausreif geschlagen wurde. Jugendgewalt erschüttert die Republik immer wieder und Politik und Gesellschaft stehen dem Problem immer noch machtlos gegenüber. Wie einfach ist es da, wenn man einen Sündenbock hat. Früher, gerade bei »School shootings«, waren es die »Killerspiele«. Doch als immer mehr Täter nicht mehr ins Profil passten und die Absurdität des »Killerspiel-Vebots« immer offensichtlicher wurde, brauchte man dringend einen neuen. Der vorliegende Fall hat diesen geliefert. Schuld soll dieses Mal die Webseite isharegossip.com sein. Politik und Medien packte der große Aktionismus. Die Webseite wurde auf den Index gesetzt, es prasselt Pseudo-Ratschläge und Anzeigen gegen die Seitenbetreiber. Ich frage mich: bringt das überhaupt etwas?
Die Diskussion über das Mobbing ist neu entbrannt. Dabei muss man aber zu allererst eines festhalten: Dass ein Jugendlicher krankenhausreif geschlagen wird, bis zur Bewusstlosigkeit und darüber hinaus, ist eine Qualität, die den Bereich Mobbing weit hinter sich lässt. Wir reden hier von schwerer, gemeinschaftlicher Körperverletzung. Aus diesem Grund wollen wir die Tat selber hier ausklammern. Dennoch war der Themenbereich Mobbing hier in der Vorgeschichte und sollte etwas Aufmerksamkeit finden.
Ich oute mich jetzt mal: Ich war selbst jahrelang Mobbing-Opfer. Und das nicht etwa an einer heruntergekommenen Hauptschule im sozialen Brennpunkt, sondern in der Grundschule und im Gymnasium mitten im Spießbürgerviertel. Ich habe das volle Programm abbekommen: Gruppen, die mich in der Pause umstellten und mich solange mit Beleidigungen bewarfen, bis ich ausflippte und einen Nervenzusammebruch bekam, Schlägereien, regelmäßige Schmierereien auf meinem Spind und den umliegenden Wänden, mit Kaugummi verklebte Sachen. Ich wurde an einem Tag in eine Clique aufgenommen, nur dass sie mich am nächsten bloßstellen konnte. Das alles brauchte kein Internet, die »Mundpropaganda« und sonstige soziale Ausgrenzung taten ihr übriges mich, den verhassten Streber, zu peinigen. Gegen Ende der Unterstufe lernte ich damit umzugehen, auch durch den Einsatz von physischer und psychischer Gewalt. Einmal ertappte ich mich selbst dabei mich am Mobbing eines anderen zu beteiligen, nur damit ich es nicht selbst bin, auf den die Gruppe losgeht. Ich bin nicht stolz darauf was ich tat und wahrscheinlich führte es nur dazu, dass sich die »Bullies« andere Opfer suchten, aber ich wurde zuerst ignoriert und konnte mich schließlich sozial integrieren.
Meine Lehrer waren nicht in der Lage mit der Sache umzugehen. Wenn ich schließlich wieder bis zum Nervenzusammenbruch beschimpft wurde und einen der Mobber blutig schlug, war ich es der den Ärger bekam. Die Beschwichtigungen wie sie Twister beschreibt, kenne ich in- und auswendig. »Ignorier sie einfach!« und »Lass dich nicht provozieren!« mögen bei einigen Erwachsenen vielleicht gute Ratschläge sein, bei einem Kind, dass sich nur fragt, warum es sich dafür rechtfertigen muss, dass es bis zum Zusammenbrucht getrieben keinen anderen Ausweg als Gewalt sieht, sind sie purer Hohn.
Auch wenn mein Fall vielleicht nicht in die Altersklasse der hier betroffenen passt, kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Das was da auf dieser Seite passiert ist relativ harmlos. Das Netz ist nicht die Quelle des Mobbings, es ist wie so oft einfach nur das Abbild der Gesellschaft. Durch die Transparenz des Netzes ragt nun lediglich die Spitze des Eisbergs aus dem Wasser. Kristina Schröder disqualifiziert sich für ihr Amt, wenn sie im Interview erklärt »Es ist eine andere Qualität, ob ein dummer Spruch an der Schultoilette steht oder ob im Internet üble Hetze berieben wird« und damit das seit Jahren reale Mobbing verharmlost, nur um eine Webseite als Sündenbock zu präsentieren.
Ich habe kein Patenrezept gegen Mobbing und ich glaube nicht, dass es irgendjemand hat, dazu ist die Problematik zu komplex. Vielleicht ist Mobbing auch einfach ein Teil der sich immer noch durch alle Ebenen des Lebens ziehenden natürlichen Grausamkeit des Menschen und man kann nur versuchen sich so gut wie möglich dagegen zu stellen, ohne es je beseitigen zu können. Ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, dass der blinde Aktionismus gegen eine »Mobbing-Webseite« aufgrund einer Gewalttat, bei der diese höchstens ein Randaspekt darstellt, einfach nur von Unfähigkeit zeugt, die Problematik zu verstehen.
10 Kommentare
2011-03-29 um 4:32 pm
Ich
hiho,
hört sich alles recht gut an, weiter so!
2011-03-29 um 4:41 pm
Grabsteinschubser
Ja, das Mobbing-Problem habe ich auch an eigener Haut erfahren 😦 Und damals war zum Glück das Internet noch nicht so im Mittelpunkt der Jugendlichen. Es ist keine Frage, dass Mobbing mit dem Internet eine neue „Qualität“ erreicht, die Ursache des Mobbings ist aber definitiv an anderer Stelle zu suchen.
Und es ist ganz normal, dass man vom Opfer zum Täter wird, einfach um nicht mehr weiter Opfer zu sein. Diesen Selbsterhaltungstrieb kann niemand verurteilen, nur muss man selbst auch noch nach Jahren mit den psychischen Folgen leben. Ich konnte das glücklicherweise ganz gut hinter mir lassen, auch wenn ich selbst einige Jahre in psychologische Behandlung musste, um mich in ein gewisses Gleichgewicht zu bringen.
2011-03-29 um 4:51 pm
Petr
Ich kenn das all zu gut. Man wird bei Kik oder Hannover 96 angemeldet, ausgelacht, die sachen werden kauputgemacht … Mobbing kommt 100% nicht aus dem Internet, und selbst wenn man das Internet abschlaten würde, dann währe Mobbing genau so vorhanden 😉
Grundsätzlich sollte man durchaus die Medien betrachten die die Jugentlichen nutzen. Wenn all diese Debatte in der Politik nicht einfach dem Zweck ensprechen würde, aus einem Randaspeckt etwas ganz großes für den Wahlkampf zu machen, würde ich dir fast schon wiedersprechen. Mobbing , wenn man sich damit vernünftig auseinander setzt hat viele Gesichter, die man auch alle berücksichten sollte.
Aber da all die Debatte, wie du auch schreibst, sinnlos ist . Deswegen ein echt gutzer Eintrag. Und Hut ab vor deinem Mut von deiner Erfahrung zu berichten.
2011-03-29 um 5:22 pm
Cassiopeia
Meiner Erfahrung nach entsteht Mobbing im Alltag und findet dann seine Fortsetzung im Internet. Kinder die in der Schule gemobbt werden, haben dann auch entsprechende Einträge auf den diversen Plattformen. Verbote von Internetseiten nutzt da gar nichts, dann müsste man schon das ganze Internet verbieten 😉 Abhilfe kann es nur in der Realität geben: Eltern stärkt euren Kindern den Rücken! Lehrer schaut nicht weg, sondern werdet aktiv! Und: Politiker hört mit den Beleidigungen und Herabsetzungen von politischen Gegner auf, ihr gebt ein schlechtes Beispiel!
2011-03-29 um 7:54 pm
Waky
Ich oute mich dann auch mal als ehemaliges „Mobbing-Opfer“. Ich denke jeder der versucht seinen eigenen Weg zugehen auch bereits schon in der Schule wird früher oder später als beliebtes Ziel ausgesucht weil er ja so „anderst“ ist, egal ob für die Person die Bildung in Vordergrund steht oder auch andere sachen wie zb einfach ein anderer Lebensweg (Gothic,Emo, Skinhead,Punk usw. Von der 5. Klasse bis zur 8 habe ich mir so ziemlich alles gefallen lassen doch dann erkannte ich es gibt einen einfachen Weg auch wenn der mir teilweise viel Ärger einbrachte so wurde ich von Opfer zum Täter der zuschlug. Ob es nun Klassenkollegen waren oder Schüler aus Ältern klassen. Meistens wenn man den „Rudelführer“ erwischt lassen alle anderen einen in Ruhe. Mittlerweile (bin mittlerweile 23)setze ich mich für Schwächere ein ob es nun an Bahnhof ist wo mehrere auf einen los gehen auch wenn ich dort was Abbekomme so mache ich mir wenigstens mein Eigenes Gewissen nicht schmutzig in dem ich Weg schaue wie es früher bei mir gemacht worden ist. Zivilcourage ist vielleicht nicht immer der schmerzfreie weg aber der Edelste.
Gruß Waky
2011-03-29 um 11:52 pm
queue
Auch ich muss mich als Mobbing-Opfer outen. Und ich kann mich auch noch an eine Begebenheit erinnern, die zeigt, dass es genau diese Masche (Demütigung durch öffentlich verbreitete Gerüchte) auch schon vor dem Internet gab. Die Plattform seinerzeit war die Lokalzeitung, Rubrik „Er sucht ihn“, die meinen Namen, Anschrift und Telefonnummern zusammen mit diversen Andeutungen enthielt.
Allerdings war das eine der harmloseren Mobbing-Attacken, die sich sehr gut auf den richtigen Adressaten umlenken ließ. Und für jemanden, der homophob genug ist, um sich sowas auszudenken, scheint das noch um einiges unangenehmer zu sein. Getroffene Hunde bellen eben. *g*
Das Internet bietet Opfern auch die Möglichkeiten, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und sogar eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, um Dinge richtig zu stellen. Das können andere Medien, wie z.B. Zeitungen, nicht in diesem Maße.
Gegenüber den Erlebnissen auf dem Schulhof oder bei direkter Konfrontation andernorts sind das harmlose Dinge. In dem Fall, der hier durch die Medien geht, war die „Bully-Gruppe“ ja offenbar bereit, schwere Körperverletzung zu begehen. Und zwar nicht im Internet. Das Online-Mobbing ist nur Symptom, nicht die Ursache dieser Geisteshaltung.
Bereits im Grundschulalter habe ich so ziemlich alles unter Gleichaltrigen erlebt, was man sich denken kann. Da gab es nicht nur Mobbing und Raufereien, sondern man hatte schonmal ein Messer an der Kehle oder wurde Opfer sexueller Gewalt. Das war in keinem Problemviertel, der viel zitierte Migrationshintergrund war nicht existent, und es waren sicher keine Einzelfälle. Dass diese Problematik verharmlost wird, während man gegen neutrale Medien vorgeht, ist ein Skandal.
Die Ursachen sind meist in den Familien zu suchen. In den mir bekannten Fällen waren die „Rädelsführer“ oder Extremtäter meist Kinder von Eltern, die kürzlich sozial abgestiegen sind, oft anfingen zu trinken, beim großen Bruder hing dann der Führer an der Wand, der Fernseher zeigt Videos von Nazikonzerten oder Gewalt-Pornos etc.
Diese Kinder erleben selbst üble Gewalt in der Familie, dazu den ganzen Frust und die Ausweglosigkeit. Das wird nach außen getragen und andere machen aus Angst mit.
Das ist die Realität.
Mit Politik ist all dem nicht direkt beizukommen, und deshalb versuchen einige Blender sich durch beliebige Sinnlosaktionen zu profilieren. Das Neue ist halt immer Schuld, und dazu haben wir ja jetzt „dieses Internet“.
2011-03-30 um 7:58 am
MAE
Nein, Mobbing kommt nicht aus dem Internet, es entsteht in den Hirnen von Menschen. Das Internet ist nur ein weiteres „tool“, das solche Menschen benutzen, um ihre Mobbinggedanken in die Tat umzusetzen. darum hlft es auch nichts, das Internet deswegen einzuschränken. Mobber werden sich dann einfach auf andere Methoden verlagern. Was wir brauchen ist eine Gesellschaft und eine Politik, die Mobbing und Mobber konsequent ächtet. Die gegenwärtige Politik ist dazu nicht in der Lage. ganz im Gegenteil. Sie sieht das Gegeneinanderaufhetzen verschiedener Gesellschaftsschichten ganz offensichtlich als Konkurrenzkampf an, der uns weiterbringt („Konkurrenz belebt das Geschäft“). Wenn ein Außenminister Millionen von Arbeitslosen ungestraft als „römisch dekadente Sozialschmarotzer“ bezeichnen/mobben darf und die Kanzlerin dazu lediglich erklärt, dies sei nicht „ihr Duktus“ (wie würde sie es denn ausdrücken, vom Inhalt her genauso nur mit gewählteren Worten?), dann treibt diese Politik die Spaltung unserer Gesellschaft voran und damit auch die gesellschaftliche Akzeptanz, Menschen, die „anders“/“schwächer“ zu mobben. Diese Politik muss endlich abgeschaltet werden, nicht das Internet.
2011-03-30 um 10:13 am
Jan
Hm, was soll ich dazu sagen? Kenne ich, vollkommen! Ich kann nicht mehr als dir zustimmen, denn das waren genau meine Gedanken vor knapp 3 Monaten, als ich noch einmal über meine frühere Schulzeit (anlässlich des Abiturs) nachdenken musste!
2011-04-02 um 6:33 pm
laser87
Hoi Andi!
Ich wollte zu dem Thema eigentlich auch schon bloggen – und mich als Ex-Mobber äußern (nur hieß es damals noch nicht so).
Meine Klassenkameraden und ich haben einen Mitschüler (auf einem katholischen Privat-Gymnasium) auch für ein halbes Jahr in die Psychiatrie gebracht. Stolz darauf bin ich nicht – auch wenn ich es bis heute nachvollziehen kann. (Der Mitschüler hat sämtliche weiblichen Schülerin offen sexuell belästigt und Kollegen bei den Lehrern „verpetzt“.)
Im Internet „mobbe“ ich nur den politischen Gegner – entweder mit Argumenten, Ironie oder Sarkasmus. Ganz so schlimm kann das pöse Internet anscheinend nicht sein^^
Gruß
Jochen
2011-05-27 um 8:52 am
Der Sündenbock »Internert« « Andis Blog
[…] ziemlich ruppig zu. Dass sowas jetzt nicht besonders neu ist, habe ich in diesem Blog bereits erläutert. Jetzt wurde der Betreiber der Seite […]