In der Diskussion um den Fall MegaUpload kam mir erneut ein Thema in den Sinn, dass ich schon lange einmal zur Sprache bringen wollte: Die Sicherung digitaler Beweise. Hier gibt es meines Erachtens einen Clinch zwischen dem analogen und dem digitalen Zeitalter, der sich auf besonders hässliche Weise bemerkbar macht. Dieser lässt sich aber recht einfach lösen, wenn man schlicht und ergreifend die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahrt.
Wenn der Staat einen begründeten Verdacht hat, dass sich eine Person eine entsprechende Straftat zu schulden kommen lässt, dann schickt er seine Ermittlungsbehörden um Beweise zu sichern, z.B. zu einer Hausdurchsuchung. Soweit zumindest die Theorie, in der Praxis ist die Sache mit dem begründeten Verdacht eher zur Kür als zur Pflicht geworden. Doch das soll heute nicht das Thema sein.
Gehen wir also in unserem Fall einfach mal davon aus, es kommt zu einer rechtmäßigen Hausdurchsuchung. Dann laufen ein paar Polizisten durch die Wohnung und Sacken alles ein, von dem der Ermittlungsrichter glaubt, es könnte der Wahrheitsfindung dienen. Das sind gerne mal Dokumente, Schriftwechsel und ähnliches. Früher sind die Beamten also häufig mit Aktenordnern und Kisten voll Papier aus der Durchsuchung gegangen.
Heute stellt sich die Sache etwas anders dar. Die Aktenordner sind häuifg verschwunden und stattdessen gibt es Computer. Die Digitalisierung sorgt dafür, dass durchsuchende Beamte immer häufiger Datenspeicher, ganze Computer und natürlich auch noch sonstige Endgeräte wie Handys oder Tablets mitnehmen (man munkelt gar von Druckern 😉 ).
Dies führt heute nicht mehr nur dazu, dass Unternehmern ein hoher Schaden entsteht, sondern es ist auch ein massiver Eingriff in das persönliche Leben des Einzelnen. Für mich wäre es weniger schlimm, wenn mir jemand Bett und Herd wegnimmt, als wenn alle meine privaten Daten plötzlich weg wären. Wie wichtig die persönliche IT-Infrastruktur ist, hat auch das BVerfG gemerkt, als es das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme schuf (auch wenn es damals um Onlinedurchsuchungen und nicht um Beschlagnahmung ging).
Wie in so vielen Fällen ist die Ermittlungsmaßnahme hier so einschneidend, dass sie einer Bestrafung bereits gleich kommt und ist für mich persönlich so eigentlich nicht akzeptabel. Dennoch hat der Staat ein Interesse an der Strafverfolgung, müssen wir uns also hier erneut entscheiden, welchen Tod wir sterben wollen?
Mitnichten, denn digitale Daten haben einen Vorteil gegenüber Aktenordnern, Drogenbeuteln und Mordwaffen: sie sind mit geringem Aufwand verlustlos kopierbar. Was gestern zum vermeindlichen Fluch der Contentindustrie wurde, kann morgen bereits ein Segen für den Rechtsstaat sein. Im besten Fall können digitale Daten z.B. bei einer Hausdurchsuchung mit dem richtigen Equipment direkt vor Ort kopiert werden, im schlimmsten Fall müssen die Datenträger kurzzeitig in einem entsprechend ausgestatteten Kriminallabor kopiert werden.
Dies hat auf beiden Seiten Vorteile: Der Eigentümer der beschlagnahmten Datenträger muss nicht monatelang auf selbige Verzichten, die Ermittlungsbehörden können sich länger Zeit mit der Auswertung lassen und vermeiden damit auch noch finanzielle Belastungen für die Staatskasse. Der einzige Nachteil sind die Kosten für die Einmalanschaffung entsprechender Forensikhard- und -software, aber das halte ich für vertretbar.
Schon das Verhältnismäßigkeitsprinzip sagt, dass eine Maßnahme nur dann zulässig ist, wenn es keine Maßnahme gibt, die mit weniger Einschnitten in Grundrechte das gleiche Ziel (oder sogar mehr) erreicht. Vielleicht ließe sich das Problem sogar irgendwie juristisch lösen, aber wir sind ja Politiker und keine Anwälte, deswegen lasst uns das doch mal direkt in die entsprechenden Gesetze und Verordnungen klopfen.
tl;dr
Kopieren statt Beschlagnahmen – für eine verhältnismäßige Sicherung digitaler Beweise.
13 Kommentare
2012-01-24 um 6:55 pm
Thomas Grafe
Da hast du etwas aufgegriffen was wirklich Sinn macht.
Sollen sie das erstmal kopieren, am besten doppelt (falls eine Kopie kaputt geht während der Untersuchung, denn der Beschuldigte könnte auf dem Original dann schon alles bereinigt haben) und anschließend alles wieder dem Beschuldigten aushändigen.
Am besten mal irgendwie in der Partei breitklopfen oder im LQFB eine Initiative starten, dass wir soetwas erreichen wollen und das in unser Programm kommt.
2012-01-24 um 7:04 pm
Björn
Find ich gut 🙂
Zwei Einwürfe/Denkanstöße von mir:
Ist eine Kopie forensich genau gleichgestellt? Kann man gelöschte Daten von einer solchen Kopie genau so rekonstruieren wie vom Original?
Ist eine Kopie juristisch genau gleichgestellt? Muss im Prinzip aus rechtlicher SIcht ggf. zwangsweise das Original untersucht worden sein?
Ist das ggf. zur Sicherung nicht digitaler Beweise (auch später noch) notwendig?
Zum Beispiel Suche nach Hautpartikeln für DNA oder ähnliche Analysen an der Hardware, um Benutzung nachweisen zu können?
Ich mein, die Daten sind ja nicht zwangsweise alles. Sonst könnte man sich ja bei der alten Hausdurchsuchung auch einfach alles auffen Kopierer werfen und zurückgeben.
Wie gesagt – gut find ich die Idee, aber das sollten wir dann auch ganz zu Ende denken. 🙂
2012-01-24 um 7:05 pm
Econsim
was bleibt einem da mehr als zu sagen: längst überfällig!
2012-01-25 um 11:03 am
Jan Sicars
@Björn
Eine Kopie ist nur als Arbeitskopie nutzbar. Das Orginal muß erhalten bleiben.
Es geht aber andersherum:
Die Kopie des Datenträgers wird dem Eigentümer des Orginals bereitgestellt. Das Orginal verbleibt zur Beweissicherung in der Aservatenkammer.
So sollten alle glücklich sein.
2012-01-25 um 12:59 pm
Andi
Sehe ich nicht ganz so. Wenn es sich um einen digitalen Beweis handelt, d.h. das Beweisstück sind die Daten und nicht der Datenträger (Fingerabdrücke etc.), dann ist eine Kopie vollkommen ausreichend.
2012-01-25 um 3:43 pm
Bernd
Allerdings ist es ja möglich auf dem Originaldatenträger eventuell kurz vorher gelöschte Daten wiederherzustellen. (Vergleichbar mit dem Zuordnen von weggeworfenen Drogen zu dem der sie aus dem Autofenster warf).
Desweiteren sind reine Kopien meines halbwissens nach nicht beweiskräftig, so darf man ja auch als Beweis nur die Originalbilder von Überwachungskameras verwenden, nicht diejenigen, die eventuell vergrößert oder sonstwie nachbearbeitet wurden (Kontrast, Helligkeit, etc.), außer diese bearbeiteten dienen nur dem kenntlichmachen auf dem Originalbild, sprich werden zum Original hinzugelegt, irgendwie war da sowas ähnliches… Ich vermute bei Datenträgern wird dies genauso laufen…
2012-01-25 um 4:05 pm
Andi
Man kann Daten nicht aus dem Nichts wiederherstellen. Mann kan lediglich vorhadene aber nicht mehr im Dateisystem befindliche Daten auslesen. Die finden sich aber auch auf einer 1-zu-1-Kopie. Daten die bereits einmal überschrieben wurden sind praktisch nur noch mit einem Aufwand herstellbar, den 99.9999% der Strafverfahren nicht rechtfertigen.
Bei digitalen Kamera-Aufnahmen gibt es technisch gesehen sowieso kein „Original“. Ich denke ich kann dir sagen dass ich soviel technisches Verständnis aufbringe, dass deine Ängste unbegründet sind.
2012-01-26 um 3:47 pm
Bernd
Ich hatte nur versucht irgendwie anhand meines Halbwissens zu erklären, warum man vielleicht darauf bestehen könnte, die Originale zu beschlagnahmen…
Angenommen es ginge um einen dieser 0,0001% der Fälle wo sich der Aufwand rechnen könnte, wäre eine solche Wiederherstellung anhand der 1zu1-Kopie möglich? Wenn ja, gäbe es tatsächlich keinen Grund das Original zu beschlagnahmen statt zu kopieren…
Grundsätzlich bestehen aber bei digitalen Beweisen meines Erachtens nach sehr einfache Möglichkeiten der Beweisfälschung,theoretisch müsste man also zwei Kopien anlegen, eine für die Ermittlungsbehörden eine für die Verteidigung und grundsätzlich nur Lesezugriff auf die Kopien gewähren.
2012-02-20 um 9:17 am
Mirco
Eine Kopie des Beweises ist etwas anderes als der Beweis. Und selbst, wenn Andi das technische Verständnis aufbringt, die Strafverfolger nicht. Die Anforderungen ändern sich ja ständig. Lochkarten, Kassetten, Disketten, Festplatten, CDs, DVDs, MO-Disks und jetzt diese komischen Dongel im USB Port. Da kann man beim Kopieren leicht etwas übersehen.
Beweis sind nicht nur die Daten, sondern der gesamte gefundene Datenträger.
2012-01-29 um 6:04 am
sunday.linkdump 80 « monstropolis
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2012-02-25 um 1:09 pm
habibi@bhannan.info
Eine tolle Idee, nur leider derzeit vollkommen abwegig. Denn wer verifiziert, dass die digitale Kopie tatsächlich dem Original entspricht? Bei der Mitnahme von Aktenordnern ist die Authentizität derselben trivial durch Ansicht nachweisbar oder wenigstens hinreichend substantierbar.
Ja, man kann nun die Daten bei der Mitnahme signieren und einen Notar im Durchsuchungsprotokoll die Übereinstimmung der Signatur verifizieren lassen. Der Teufel steckt aber im Detail, nämlich erstmal, dass so eine Festplatte dann read-only bleiben müsste. Wenn die Daten aber nur mit Software lesbar ist, die sich auf der Platte selbst befindet, wird die Sache schon schwierig.
Und JA, auch bei der physikalischen Mitnahme der Datenträger ist man vor (absichtlicher oder versehentlicher) Veränderung durch die Ermittler nicht geschützt. Das ist das eigentliche Problem bei digitalen Indizien.
Insofern muss unser Ansatz anders lauten: Digitale Indizien sind überbewertet. Die Beweisführung muss deshalb immer weitere realweltliche Indizien erfordern. Eine Kopie der Datenträger darf gemacht werden, ist aber als Beweis grundsätzlich untauglich, sondern dient lediglich als Ansatz zu weiteren Ermittlungen.
2012-03-08 um 5:13 pm
Andi
Soweit wollte ich jetzt gar nicht gehen. Aber wir sind uns einig, dass es keinen Unterschied bei der Beweiskraft hat ob ich den physischen Datenträger mitnehme oder eine Kopie.
2012-06-14 um 8:55 am
Die deutschen Behörden und die Anonymous-Aktion gegen die Gema « Andis Blog
[…] ihr wissen. Und die Beschlagnahmung der persönlichen Hardware ist ein nicht weniger massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Und das zieht ihr bei über Hundert Leuten durch, weil die Webseite […]