Die Debatte um „Tatort Internet“ lässt mich derzeit nicht los. Am Rande meiner Gedanken schweifte ich vorhin in einem ganz neuen Kontext ab, der ein ganz anderes Licht auf die Sache wirft. Gerade die Motive der Macher von „Tatort Internet“ sind mir immer noch ein Rätsel. Peter Mühlbauer hat dazu einen sehr interessanten Text verfasst. Darin tangiert er bereits die Vermutung, die mir in den Kopf gesprungen ist. Aber lasst mich etwas weiter ausholen.

Meine Generation hatte das große Glück, in einer sehr toleranten Zeit aufzuwachsen, gerade was das Sexuelle anbetrifft. Doktor Sommer erklärte uns, dass Homosexualität genauso normal war wie Selbstbefriedigung und vorehelicher Geschlechtsverkehr und dass man von keinem der genannten blind wird.

Das war nicht immer so, sondern ist eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Einen Teil dieses Fortschritts muss man wohl der Sexuellen Revolution zusprechen. Schaut man in den Wikipedia-Artikel zu Sexualmoral, findet man tatsächlich eine Liste der Dinge, die erst in dieser Zeit gesellschaftliche Akzeptanz fanden. Dort finden sich die oben erwähnten Punkte genauso wie das Thema, das ich eigentlich nur implizit erwähnt hatte: Die Sexualität der Jugendlichen.

Ich möchte meine Jugend, die eigentlich noch gar nicht so lange her ist, um keinen Preis missen, auch nicht die sexuelle Entwicklung. Wir hatten Einzelerfahrungen und Gruppenerfahrungen, wie das berühmte Flaschendrehen oder gemeinsames Schauen von Pornos. Aber wir hatten natürlich auch Erfahrungen mit Partnern, gleichaltrigen, aber auch älteren. Wir haben dabei auch über ernste Themen wie Verhütung und Geschlechtskrankheiten gesprochen, über moralische Probleme, etwa als ein Mädchen der Clique Sex mit einem verheirateten Familienvater hatte, aber auch über vollkommen banales. Kurzum, wir fühlten uns wohl als sexuell aktive Menschen und genossen die Möglichkeiten, die wir durch unsere Freiheit hatten.

Das Einsetzen der Pubertät und der Beginn der sexuellen Aktivität ist einer der Kernaspekte der Adoleszenz. Es ist deswegen also nicht verwunderlich, dass unsere Gesetzeslage, gerade im Sexualstrafrecht, doch recht deutlich zwischen Kindern und Jugendlichen unterscheidet. So ist Sex mit Jugendlichen nicht per se strafbar, wie bei Kindern. Das „soziale Schutzalter“ wird in Deutschland bei 14 Jahren angesetzt, was genau die Grenze zum Jugendalter ist. Die weiteren Schutzvorschriften sind eigentlich so gestaltet, dass sie Jugendliche vor sexueller Ausbeutung schützen, aber nicht vor sexuellen Kontakten an sich.

Die Sexualität Jugendlicher ist also ein normaler Bestandteil unserer Gesellschaft. Dennoch wird seit einiger Zeit der Kindesmissbrauch immer wieder mit der Sexualität Jugendlicher in Zusammenhang gebracht. Für die UN ist bereits jetzt schon alles unter 18 Jahren Kind. In der Bundestagsdebatte über die Netzsperren für Kinderpornographie sagte auch die SPD-Abgeordnete Renate Gradistanac:

Laut UN ist jeder Mensch unter 18 Jahren Kind und wir sehen das genauso

In der Censilia-Richtlinie wird ebenfalls jede Person unter 18 Jahren als Kind definiert und Stephanie zu Guttenberg spricht immer von „Kindern und Jugendlichen“ und nennt, wenn ich mich richtig erinnere, auch den Altersbereich der 12-17-jährigen.

Dies führt natürlich unweigerlich zu einer gewissen Konditionierung. Wenn bei schrecklichen Verbrechen, wie dem sexuellen Missbrauch von Kindern, immer wieder der Begriff der Jugendlichen fällt, beginnt eine unterschwellige Assoziation. Sexualität von Jugendlichen bekommt damit eine negative Konnotation.

Dies begann bereits, als Ende 2008 völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit der Straftatbestand der Jugendpornographie eingeführt wurde. Man hat dabei einfach den Straftatbestand der Kinderpornographie mehr oder minder kopiert. Dies führt zu massiven rechtlichen Risiken, da Jugendliche ja bereits selbst strafmündig sind.

Aber nicht nur das, auch das Prinzip der Jugendanscheinspornographie stand plötzlich auf dem Plan (wie es übrigens auch in der Censilia-Richtlinie der Fall ist). Das heißt, auch Pornographie mit volljährigen Darstellern, die den Anschein erwecken, sie wären jünger, wird strafbar. Wir sind also dort bereits weit weg vom Schutz eines vermeintlichen Opfers, hin zu einer Art Gedankenverbrechen. Und das, obwohl Sex mit Jugendlichen grundsätzlich immer noch legal ist.

Bei all diesen Debatten, sei es nun um die Netzzensur, Cyber-Grooming oder Jugendmedienschutz, werden Jugendliche so nebenbei immer mehr als unmündige Kinder dargestellt und es geht in der Hauptdebatte mehr oder weniger unter. Ist es das Ziel der Konservativen, Jugendliche wieder als asexuelle Wesen darzustellen?

Gerade in den USA wird die Uhr der sexuellen Entwicklung wieder zurückgedreht. Sexualität Jugendlicher wird dort schon wieder so weit tabuisierst, dass die Jugendlichen selbst schon wegen normaler sexueller Handlungen in der Sex-Offender-Datei landen. Und nachdem das geschafft wurde, sind jetzt die Homosexuellen dran. Die sehen sich aktuell einer erschreckenden Gewaltwelle ausgesetzt.

Die „sexuelle Restauration“, wie SPON titelt, also quasi die Umkehrung der sexuellen Revolution, ist vielleicht tatsächlich Ziel einiger konservative Kräfte. Sie findet sich vielleicht sogar auf viel breiterer Front als es uns lieb ist und auch „Tatort Internet“ könnte nebenbei noch ein Mosaikstein in diesem Prozess werden.