von Bruno Kramm und Andi Popp

Wir gestehen: Wir hatten beide etwas Schwierigkeiten, die richtigen Worte für einen Kommentar zum aktuellen Gate um Julia Schramms Buch »Klick mich« zu finden. Wir wollten weder in den Shitstorm mit einsteigen, noch uns dem Vorwurf aussetzen, wir würden eh nur das Buch promoten. Die Situation ist aber leider zu verfahren und muss einfach mal analysiert werden. Deshalb haben wir uns zusammengesetzt und die verschiedenen Aspekte der Causa #Klickmich zusammengefasst. Derzeit gibt es Leute, die Julia verteidigen und Leute die sie bashen. Wir denken aber, dass die aufgeworfenen Fragen bei weitem nicht so schwarz und weiß beantwortet werden können.

Zuerst einmal muss man eine Sache festhalten: Nicht Julia ist gegen die Verbreitung des Buches vorgegangen, sondern der Verlag. Dieser Aspekt wird zwar derzeit – wahrscheinlich mit voller Absicht – gerne mal an den Rand gedrängt, ist aber zentral. In erster Linie hat der Knaus-Verlag die Ziele der Piraten ignoriert, nicht Julia Schramm.

Nehmen wir mal an, ein Pirat arbeitet als Programmierer für Microsoft an MS Office und Microsoft lässt unrechtmäßige Office-Kopien aus dem Netz entfernen. Niemand käme auf die Idee, dem Programmierer vorzuwerfen, er würde gegen die Ziele der Piraten verstoßen. Ein einzelnes kleines Rädchen kann eben nicht immer ein ganzes System ändern. Deswegen haben wir die Piratenpartei gegründet, weil wir die rechtlichen Rahmenbedingungen (Gesetze) ändern wollen, sodass nicht jeder einzeln gegen die Windmühlen rennt.

Julia ist als Autorin natürlich in einer unweit besseren Position. Sie ist deutlich schwerer zu ersetzen als ein einzelner Programmierer bei einem Softwaregiganten und hätte hier sicher die Möglichkeit gehabt, Pionier für einen modernen Ansatz zu sein. Sie hätte versuchen können, ein Zweitverwertungsrecht für eine Online-Veröffentlichung unter einer CC-Linzenz (gerne NC) auszuhandeln. Oder sie hätte den Verlag vielleicht zu einem Pay-What-You-Want-Modell überreden können (in Deutschland schwierig wegen des Problems der Buchpreisbindung, aber wo ein Wille ist …). Dass sie hier den klassischen Weg gewählt hat, ist in erster Linie eine verpasste Chance.

Stattdessen hat Julia mit ihrem Verlag das Modell einer „gelben Karte“ ausgehandelt. Das heißt, der Verlag sieht bei der ersten Verbreitung davon ab, eine kostenpflichtige Abmahnung zu schreiben. Das ist sicher besser, als direkt eine kostenpflichtige Abmahnung zu schreiben, aber immer noch kilometerweit von den Zielen der Piratenpartei entfernt, denn Abmahnmodelle sind für uns schon wegen des unverhältnismäßigen Einbruchs in die Privatsphäre nicht zu rechtfertigen. Die gelbe Karte erinnert irgendwie an das vorgeschlagene Zwei-Stufen-Warnmodell. Und genau hier ist Julias Position kritikwürdig.

Nehmen wir an Julia sagt: »Ja, ich finde es auch blöd, dass der Verlag so handelt wie er handelt. Mir wäre es auch lieber gewesen, wir hätten eine bessere Lösung gefunden. Aber ich stand eben vor der Wahl, in den sauren Apfel zu beißen oder kein Buch zu veröffentlichen. Ich hoffe, bei meinem nächsten Buch bin ich bekannt genug und habe genug Verhandlungsgewicht, um es besser zu machen.«

Das wäre vollkommen akzeptabel. Man kann als ehrenamtlicher Politiker in seinem Tagesjob oder seinem Alltagsleben nicht immer allen politischen Zielen frönen. Andi fände es auch cool, wenn sein Arbeitgeber seinen eigenen Computer nicht mit Atomstrom betreiben würde. Bruno würde sich auch riesig freuen, wenn die C3S bereits die Urheberrechte seiner Songs statt der GEMA wahrnehmen würde. Aber wir organisieren uns lieber mit anderen und setzen uns für den Atomausstieg oder die Reform der GEMA ein, als zu versuchen, jedes Reiskorn einzeln zu schälen. Es ist eine Frage der persönlichen Strategie und Ressourcenverteilung. Vielleicht auch einer Frage, die einen Politiker ausmacht.

Das Problem ist aber, dass Julia diesen extrem schwachen Kompromiss mit der »gelben Karte« als gut und schön verkauft und darin sogar eine mögliche politische Forderung sieht. Sie distanziert sich eben nicht vom Vorgehen ihres Verlages. Wir wissen nicht, wieso sie das tut, aber genau das halten wir eigentlich für ein Mitglied des Bundesvorstands der Piratenpartei nicht angemessen. Sie lässt sich in gewisser Weise von ihrem Verlag politisch instrumentalisieren. Sie haben jetzt einer Piratin einen klassischen Vorschuss verpasst und können sie bei jeder Gelegenheit als Argument für die klassischen Verwertungsmodelle hervorkramen. Böse Zungen behaupten, das könnte eine Strategie der Bertelsmann-Gruppe sein, die mit dem 100.000-Euro-Vorschuss die günstigste Medienkampagne zum Durchsetzen eigener politischer Interessen gekauft hätte.

Wir glauben, Julia geht an die Sache einfach zu blauäugig ran, wie sie es schon so oft in der Urheberrechtsfrage getan hat, wenn sie gefragt wurde. Sie kennt sich auf diesem Gebiet einfach zu wenig aus und reagiert manchmal ein wenig beratungsresistent. Denn eigentlich ist Julia hier genau jenes Ich, das sie in ihrem Buch als eines ihrer vielen Avatare beschreibt: Eine unzuverlässige Erzählerin, die alles und jeden bewertet, die Geschichten so wiedergibt, wie sie das für richtig hält, und sowieso alles mit ihrer Wahrnehmung verfärbt. Das hat aber nichts mit Piratenpolitik zu tun. Kritik für diese naive Haltung halten wir für gerechtfertigt und angebracht. Aber ihr jetzt gleich Hochverrat an der Piratenpartei vorzuwerfen, soweit würden wir jetzt nicht gehen wollen.